Blinde
Wer nicht sehen kann, dessen andere Sinne werden schärfer. In der Fantasy sehen Blinde auch andere Welten, Geister, Dämonen und Übernatürliches und werden möglicherweise zu Propheten. Zunächst jedoch ist die Blindheit eine enorme Einschränkung und disqualifiziert den Blinden von vielen Arbeiten und dem normalen Erwerb seines Lebensunterhalts. Im Fall von Albinos wirkt Blindheit oft sinister und Betroffene wird bisweilen unterstellt, mit bösen Mächten zu verkehren. Letztlich gilt Blindhalt auch als göttliche Strafe.
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Selten blinde Hauptfiguren
Protagonisten sind auch in der Fantasy selten blind. Nicht zuletzt ist es schwer, die Wahrnehmung Blinder für Nicht-Blinde verständlich zu machen. In vielen typischen Fantasy-Abenteuern wären sie zudem eher deplatziert. Nichtsdestotrotz sind blinde Nebenfiguren einigermaßen häufig und manchmal zentraler Bestandteil der Helden-Mission. Oft werden blinde Figuren mit Weisheit und Wissen in Verbindung gebracht.
Blinde Figuren kommen in mehreren Varianten daher. Ein Krieger, der sein Augenlicht verlor, kann seinem Handwerk nicht mehr nachgehen. Entweder verzweifelt er an seiner Situation oder macht das Beste daraus. Zum Letzteren muss er häufig erst durch den Helden aufgestachelt werden, der seine unschätzbaren Erfahrungen benötigt. In beiden Fällen ist der Verlust der Sehkraft auch metaphorisch für eine geänderte Wahrnehmung und Position im Leben insgesamt zu sehen - denn egal wie, eine Umstellung erfordert plötzliche Blindheit.
In Fantasy und Phantastik kommt hier oft ein anderes Sehen hinzu: die Wahrnehmung des Heiligen, des Magischen und/oder des Übernatürlichen, einer höheren Ebene unserer Welt, dazu oft genauere Einsicht in diese. Profaner ändern manche erblindete Charaktere ihre Tätigkeit vom physischen ins geistige, werden Mönch oder Archivar, der so ein ganz neues Leben entdeckt und oft der Wissensträger einer Gemeinschaft wird - sofern er nicht als Unnützer gilt, der sich seine Mahlzeit nicht verdienen kann und als Bettler in der Gosse landet.
Blindheit als Übung
Unter den häufigsten Blinden finden sich gealterte Krieger oder andere. Manche verloren ihr Augenlicht auch durch die Strafe der Blendung, die darauf zielte, sie als Kämpfer unnütz zu machen. Dennoch können diese Krieger oft ihre Erfahrungen weitergeben und haben gelernt, bis zu einem gewissen Maß zu kompensieren.
So taucht auch immer wieder die Idee auf, den Helden den blinden Kampf lernen zu lassen. Solcherart werden sein Gehör und seine Wahrnehmung von zum Beispiel Luftbewegungen geschult. Ihre Kampfstärke übertrifft so meist noch alles, was realistisch möglich ist. Besonders hilfreich und pragmatisch gerechtfertigt sind solche Übungen dann, wenn ein Kampf in absoluter Dunkelheit zu erwarten ist, sei es magisch erzeugt oder zum Beispiel durch eine Expedition in dunkle Höhlen. Solcherart erblindete Krieger haben nur selten übernatürliche Wahrnehmung.
Blindheit, Prophetie und Weisheit
Blindheit wird oft mit Wissen und Weisheit in Verbindung gebracht. So opferte Odin ein Auge, um Weisheit zu erlangen. Dies gilt gleichzeitig als Parabel: Die eine Art der Wahrnehmung wird aufgegeben um eine andere, bessere zu erlangen. Der Blinde sieht nun nicht mehr, was in der Welt vor ihm ist, stattdessen aber dahinter. Dieses Dahinterliegende ist oft reiner und wahrhaftiger als das, was irdische Blicke wahrnehmen und kann nicht getäuscht werden.
Blindheit wird auch mit Magie und Geistersicht (dem Zweiten Gesicht) in Verbindung gebracht. So können Blinde die Geister, Fae, Dämonen oder auch Engel sehen, die anderen Menschen verborgen bleiben. Auch hier wird eine Art der Wahrnehmung durch eine andere ersetzt. Das ist für den erblindeten nicht immer vorteilhaft: Manches ist nicht dafür gemacht, von Menschen gesehen zu werden; selbst die wahre Gestalt von Engeln kann schrecklich sein und zum Wahnsinn führen. Und selbst wenn der Geisterseher geistig gesund bleibt: Wer glaubt denn dem irren Blinden, der von seltsamen Wesen brabbelt?
Manche Blinde erlangen zudem die Gabe der Prophetie, also nicht nur andere Dinge im Jetzt wahrzunehmen, sondern auch durch die Zeit zu sehen.
Hilflose Blinde
Bei allen Vorteilen und Darstellungen großen Könnens sollte man nicht vergessen, dass Blindheit zunächst eine starke Einschränkung ist.
Nicht zuletzt kommen auch blinde Bettler sehr häufig vor: Ohne weitere Fertigkeiten bleibt ihnen kaum etwas anderes über, um sich Nahrung zu verdienen. Sie sind auf andere angewiesen und in einer archaischen Gesellschaft kann der Verlust der Sehkraft so gut wie ein Todesurteil sein: Nicht immer kann man jemanden durchfüttern, der als Arbeitskraft nutzlos geworden ist; besonders nicht, wenn er auch sonst nichts leisten kann.
Diese Blinden tauchen meist nur am Rande auf, oft als Verzweifelte, die dennoch einiges mitbekommen von dem, was in der Straße passiert, und sich diese Information bezahlen lassen. Mancher "blinde" Bettler tut auch nur so und/oder arbeitet für eine Diebes- oder Spionagegilde.
Beeindruckendere Figuren sind jedoch die Helden oder anderen, die es schaffen, ihre Blindheit zu überwinden. Gelegentlich verbirgt sich jemand, den der Held sucht, als Blinder (echt oder erschwindelt). Das Verhalten des Helden dient dann als Charaktertest.
Bekannte Blinde in Fantasy und Mythos
- Teiresias, ein blinder Prophet und Priester des Zeus
- Der nordische Gott Odin opferte sein rechts Auge für Weisheit
- Arya Stark in A Dance with Dragons
Realer Hintergrund
Blinde haben einen Sinn weniger, auf den sie sich verlassen können, und kompensieren dies durch die stärkere Nutzung ihrer anderen Sinne. Diese verbessern sich nicht automatisch durch Blindheit, mittelbar hingegen schon. Denn einerseits nutzt ein Blinder seine anderen Sinne nun verstärkt und bereits durch diese notwendige Übung werden sie stärker geschult. Andererseits muss das Gehirn nun keine Ressourcen mehr fürs Sehen aufwenden; diese stehen nun für andere Sinne zur Verfügung.
Auch Kämpfen ist für Blinde möglich. Insbesondere Taekwondo und Judo sind geeignet und die besten Kämpfer können es vermutlich mit ungeschulten Sehenden aufnehmen. Einem geschulten, normalsichtigen Krieger dürften Blinde jedoch nichts entgegenzusetzen haben.
Auch heute gibt es viele Einschränkungen in Hinsicht auf Mobilität, Kommunikation und sozialer Teilhabe. Manche Arbeiten, gerade körperlich komplexe und in gefahrenreicher Umgebung, sind Blinden unmöglich. Mit heutiger Technologie haben Blinde vergleichsweise viele Arbeitsmöglichkeiten, z. B. Bürojobs, Beratung, musische Tätigkeiten und vieles im sozialen und akademischen Bereich. Für einige Berufe sind Blinde zudem besonders geeignet (Klavierstimmer, Tontechniker). Diese Möglichkeiten gibt es in pseudo-mittelalterlichen Settings jedoch selten. Die Einstellung gegenüber Blinden war zudem oft negativ und die Blindheit wurde als gerechte Strafe für begangene Sünden interpretiert, Blinde häufig schlecht behandelt.
Quellen und Verweise
- Titelbild: Ausschnitt aus "Theresias erscheint dem Ulysseus während der Opferung" (zw. 1780-1785) von Henry Fuseli, via Wikimedia Commons, Public Domain.
Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
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