Das große Buch der Sagen
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Das Buch der Sagen, herausgegeben von Edmund Mudrak, ist eher ungewöhnlicher Machart. Auf einer Seite am Ende findet sich eine Liste der verwendeten Quellen - allesamt bereits Sammelwerke diverser Sagen. Welche Sagen nun aus welchem der Werke stammen bleibt jedoch vollkommen offen. Ein solch halbwissenschaftlicher Anspruch verwirrt mich eher als dass er irgendeine Aussage trifft - auch was genau eine "Sage" ist, weiß ich nicht. Einiges aus diesem Buch hätte ich eher Richtung Märchen (bzw. auch als Märchen bekannt) oder Legende eingeordnet, aber darüber lässt sich streiten. Oder eben nicht, wenn der Herausgeber keine Kriterien offen legt.
Unintuitiv ist das Buch an sich. Das Inhaltsverzeichnis umfasst mehrere Seiten(!) von Sagen, deren Ordnung nicht erkennbar ist. Beim Lesen stellt man fest, dass es sich oft um Gruppierungen zu einem gleichen bekannten Ort oder dergleichen handelt, aber ersichtlich ist dies nicht auf den ersten Blick und andere, einander ähnelnde, Sagen finden sich nicht gruppiert. Klar ist zu Beginn lediglich eine dreigliedrige Trennung in Volkssagen, Sagen aus dem Kreis der Nibelungen und Sagen aus dem Kreis Dietrichs von Bern - in einem Verhältnis von grob 80%:10%:10%. Die einzelnen Sagen sind besonders im ersten Teil selten länger als eine Seite. (Vergleich: Die Titelbild und Rückentext gebende Sage des Rattenfängern von Hameln umfasst 46 Zeilen, entsprechend etwa eineinhalb Seiten, und ist damit eine der längeren.) In den beiden größeren Sagenkreisen kommt erstmals eine längere Erzählung auf, die über mehrere Seiten hält. Was bewog den Herausgeber zu dieser Auswahl? Ich habe nicht die leiseste Ahnung.
Die Bewertung dieses Buches fällt mir unheimlich schwer, denn ich habe zugegebenermaßen keine Idee, für welche Zwecke es geschaffen wurde. Das große Buch der Sagen ist sicher kein Buch, das man wie einen Roman liest; Es ist auch kein vernünftiges Nachschlagebuch zu Sagen eines bestimmten Themas oder ein Kompendium aller Sagen. (Hierzu fehlt eine erkennbare Ordnung bzw. Auswahl.) Eine Konzentration auf bestimmte Sagenthemen findet sich ebenfalls nicht. Bezweckte man puren Lesegenuss? In diesem Fall zweifle ich den Sinn des gewählten Formats an. Kurze Abschnitte, die man in teils einer halben Minute wegliest sind für längeres Lesen nicht geeignet. Sicher: Man erkennt mitunter Zusammenhänge und Gemeinsamkeiten verschiedener Sagen, die auch aus weit entfernten Gebieten stammen. Aber während des gesamten Lesens kam bei mir keine Stimmung auf. Hierfür reichte die Länge der Sagen einfach nicht aus.
Wofür taugt das Buch der Sagen? Für wissenschaftliche Nachforschung nicht, zum erholsamen Lesen auch nicht - erst recht nicht auf bestimmte Themen organisiert. (Fußnoten gibt es gelegentlich - allerdings längst nicht bei jedem Wort, das diese nahe legt; Übersetzungen von Mundart sind immerhin praktikabel durchgeführt.)Allenfalls zum Hineinschnuppern in verschiedene Sagen mag dieses Werk geeignet sein, zum einfach Aufschlagen und mal schauen was kommt.
Als "Verteidigung" mag man anführen: Edmund Mudrak nicht der erste, der eine Sagensammlung dieser Art herausgibt - auch die Grimms haben einst eine solche Sammlung veröffentlicht. Es mag also eine Anlehnung an deren Darbietungsmodus sein. Lesbarer im beim Lesen üblichen Sinne macht es das leider auch nicht.
Zum Schluss noch Kritik an der Sagenauswahl der Nibelungen und Dietrichs. Diese lassen immerhin erkennen, dass sie als zusammenhängend und in Verbindung stehend ausgewählt wurden. Aber die Dietrich-Sagen (die an bestimmten Stellen mit der Nibelungensage verbunden sind) präsentieren dem Leser ein ganz anderes Bild von den Nibelungen als die Sagen aus diesem Bereich. Sicher, es gibt Varianten in den Sagen: es sind Überlieferungen, die sich unterscheiden und selten absolut einig sind, wie sich auch andere Sagen oft ähneln oder in anderen Punkten widersprechen. Aber einen nicht sehr bewanderten Leser dürfte es irritieren, zuerst zu lesen, wie Kriemhild die Mutter Gudruns ist, welche Sigurd/Siegfried heiratet um dann im Dietrich-Teil zur Frau Siegfrieds zu werden (was, denke ich, die bekanntere Variante der Sage ist). Ein Vorwort, eine Einleitung, eine Kommentierung in irgendeiner Art hätte sicher vieles klären können. Auf eine solche wurde jedoch verzichtet und so stehe ich am Ende recht ratlos vor dieser Sammlung. Zum Lesen kann ich sie nicht wirklich empfehlen: Ich ziehe eine Sagensammlung vor, die mir sagt, wonach die Auswahl getroffen wurde. Oder die Nibelungensage direkt; oder die Sagen Dietrichs. Aus dem "Großen Buch der Sagen" kann ich jedoch leider nichts Halbes und nichts Ganzes machen und es daher nicht empfehlen.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
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