Der Fall Jane Eyre
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Seit einigen Jahren arbeitet Thursday Next - nach einer Karriere bei Militär und Polizei - bei den Londoner LitAgs (Literatur Agenten). Diese sind eine Sondereinheit der Polizei, die sich mit allem auseinandersetzen, dass in Verbindung zur Literatur steht. Die Aufstiegschancen sind allerdings mehr als dürftig und so sitzt Thursday jahrelang im selben Posten. Plötzlich ändert sich alles: SO4 fordert Thursdays Hilfe an, eine der Spezialtruppen, deren Aufgabe streng geheim ist. Es geht um niemand geringeres als Thursdays alten Englisch-Professor: Acheron Hades.
Zuvor schon wurde das Originalmanuskript von Martin Chuzzlewit gestohlen. Keine Kameraaufnahmen. Keine Spuren. Alles deutet auf Acheron Hades hin, drittgefährlichste Person der Welt und unsichtbar für alle Kameras, zudem ausgestattet mit einem seltsamen Einfluss auf Menschen. Und mehr als das: Es gibt kein Bild von ihm. Kameras entgeht er und zum Zeichnen war nie lange genug Zeit. Also bleibt Thursday als ehemalige Schülerin die einzige Möglichkeit, ihn zu identifizieren.
Eine erste Begegnung lässt nicht lange auf sich warten - und endet für Thursday für alle Beteiligten am Positivsten: im Krankenhaus. Wenig später findet sie sich bei den LitAgs Swindon wieder, immer noch auf der Jagd nach Hades. Auch die Riesenfirma Goliath scheint ein Interesse an ihm zu haben. Hades' ganzer Plan offenbart sich kurz darauf: Hades entführt Mycroft Next, der ein ProsaPortal entwickelt hat, ein Gerät mit dem man IN die Bücher gelangt. Bald findet die Polizei die Leiche eines fiktionalen Charakters, der gleichzeitig aus allen Büchern verschwindet - und Hades hat große Pläne.
Das Buch erhält 9 von 10 Punkten.
Ich las die Thursday Next Serie im ChronoGarden-Stil. Das heißt: Ich begann mit Band 3, las dann den 2. und zuletzt diesen ersten. Verdorben wird dadurch wenig, was eindeutig für die durchgehende Spannung des Buches spricht, wie auch für die teilweise Unabhängigkeit der Bände. Dennoch sei noch vorweg gesagt, dass sie aufeinander aufbauen und nicht wie eine Fortsetzung allein des Geldes Willen wirken.
Die Welt Thursday Nexts ist in gewisser Weise in der Vergangenheit stehengeblieben. Der Krimkrieg hat nie geendet, noch immer sind Zeppeline im Einsatz und Düsenmaschinen sind undenkbar - die Gelder für entsprechende Forschung wurden verweigert. Mit geschickten Manipulationen verschiedener Schlüsselereignisse schafft Jasper Fforde eine Welt, die sich von unserer gewohnten drastisch unterscheidet aber dennoch schlüssig erscheint.
Der größte Unterschied hingegen liegt in der Einstellung der Menschen: Literatur und alles damit zusammenhängende wird unheimlich ernst genommen. So gibt es keine Schlachten zwischen Hooligans verschiedener Fußballteams sondern zwischen Surrealisten und Realisten, zwischen Marlowianern und Shakespeare-Anhängern. Wegen schlechter Inszenierungen kann man ins Gefängnis kommen und dergleichen mehr.
Wen wundert es bei einem solchen Setting noch, dass ein geniales Hirn schließlich auf den Gedanken kommt, ein Portal in die Bücher hinein zu entwickeln? Niemanden - und genausowenig verwundert es, dass Hades, ein Schurke "wie aus dem Buch", sich diese Gelegenheit nicht entgehen lässt. Schließlich ist Hades der Überzeugung, dass man Böses um des Bösen Willen tun sollte. Reichtum ist zwar ein netter Nebeneffekt, aber als Ziel verdirbt er die Größe der Untat.
Damit ist natürlich ein Klischee-Schurke geschaffen. Ein unbesiegbarer Klischee-Schurke bis zum letzten Atemzug, der hier aber ebensowenig stört wie in allen James Bond Filmen. Immerhin ist die Welt an sich schon skurril genug - allein das Thema Nummer 1 (Literatur) reicht hierfür aus.
Fforde gelingt es, immer wieder humoristische Szenen einzubauen, allein schon durch Thursdays schlagkräftige Wortwechsel, aber auch durch Ideen an sich. Es weder "philosophischer" Humor wie Pratchett ihn verwendet noch ist es reiner Slapstick. Es ist eine gelungene Mischung aus beidem. Paradoxe werden spätestens mit dem Auftritt der ChronoGarde eingeführt: Sobald Zeitsprünge möglich sind, kommt die Wirkung nicht mehr zwangsläufig nach der Ursache. Logik? Ja... aber mitunter verquere. Der Hessische Rundfunk brachte hier absolut treffende Vergleiche mit Alice im Wunderland und Monty Python (siehe Buchrücken). Man sollte ebenfalls nicht vor Erklärungen en passant erschrekcen: Diese sind zahlreich und müssen unerklärt registriert und verarbeitet werden. Mich stört dies nicht, anderen mag es jedoch das gesamte Lesen verleiden.
Zum Schluss ein Wort zum besagten Thema Nummer 1. Die Thursday Next Reihe hat als Zielgruppe sicher jene Menschen, die vergleichsweise viel gelesen haben (auch wegen der vielen "unerklärten" Informationen). Man muss definitiv nicht Jane Eyre oder Martin Chuzzlewit gelesen haben. (Ich habe es bis heute nicht.) Aber man sollte wissen, wer Shakespare war, was um ihn unklar ist. Hat man keine Ahnung, so entgehen doch einige Anspielungen und Verdrehungen, worunter der Gesamteindruck leidet. Ein generelles Interesse an Büchern und dem Spiel mit dem Möglichen ist ebenfalls angebracht. Dies gilt für die nachfolgenden Teile noch mehr. Nebenbei: Ich weiss auch nicht, wie unser Jane Eyre wirklich ausgeht oder ob die getötete Figur in unserem Cuzzlewit existiert - verdorben wird hier nichts, bis auf einzelne Szenen erfährt man im Wesentlichen nur den Plot. Um die "Wahrheit"zu erfahren, fürchte ich geradezu, die beiden erwähnten Romane ebenfalls lesen zu müssen.
Fazit: Der Fall Jane Eyre und die gesamte Thursday Next Reihe ist exzellente humoristisch-skurrile Lektüre für Belesene, die gerne Was-Wäre-Wenn spielen. Jenen wird es Freude machen, Wenigleser jedoch verpassen zu viele Anspielungen. Vielleicht das Beste: Wem es gefällt, der bekommt noch weitere, bereits erschienenen Bände als Nachschlag.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
Diese Rezension wurde zuletzt geändert am und ursprünglich veröffentlicht am .
Leseprobe
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Zitat(e) aus dem Buch
- "Ich bin nicht mit dem Colonel hier. Das war reiner Zufall" "Ich glaube nicht an Zufälle." "Ich auch nicht. Ist das nicht ein Zufall?"
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