Buch-Cover, Nick Martell: Das Königreich der Lügen

Das Königreich der Lügen

Originaltitel: The Kingdom of Liars [AME]
Serie: Die Söldnerkönig-Saga (#1)
Übersetzer: Urban Hofstetter
Genre: Fantasy
Verlag: Blanvalet
Seiten: 540
Erschienen: 12/2022 (Original: 2020)
ISBN: 978-3-7341-6209-1
Preis: 18,00 Euro (Softcover)
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Wertung: 4/5 Grimoires; 8/10 Punkte, Gut bis sehr gut

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Kurz & Knapp

  • Interessante Welt ...
  • ... aber nicht in Tiefe oder Details
  • Ich-Erzähler

Mikael Königmann wird wegen Königsmord der Prozess gemacht. Und das nachdem sein Vater einst den Prinzen erschoss - eben jenen Prinzen, den die Königsmanns mitsamt der Herrscherfamilie beschützen. Wie der Vater, so der Sohn? Und wie kam es überhaupt dazu? Mikael selbst erzählt die Geschichte, die ihn in den Prozesssaal führte: Vom Auftrag eines Adeligen; von seinem Bestreben, die Pflicht der Königmanns zu erfüllen; von den Rebellen, die in die Stadt eindrangen; der Suche nach der Wahrheit um seinen Vater; und von einem Söldner, der ebenfalls an den damaligen Ereignissen interessiert zu sein scheint.

Das Buch erhält 8 von 10 Punkten.

An meiner letzten Lektüre bemängelte ich den Weltenbau, hier gefällt er mir - auch wenn er mit Details sparsam ist. Denn in dieser Welt gibt es Schwarzpulver - typischerweise die Technologiegrenze in der Fantasy. Und trotzdem ist dies eine typische Fantasywelt mit Magie, die nicht beliebig ist. Beides gefällt mir. Im Zentrum stehen jedoch nicht die Welt oder Abenteuer und Heldentaten, sondern der Ich-Erzähler. Und er muss seinen Platz erst noch finden.

Pflicht, Wahrheit und Lügen

Mikael Königmann erzählt diese Geschichte in der Ich-Perspektive. Er sagt früh, dass alle lügen. Außerdem erleichtert er regelmäßig unbedeutende Adelige um ihr Gold. Sein Vater wurde hingerichtet, weil er den Thronprinzen ermordet hat, er selbst wurde gebrandmarkt. Er wirkt daher von Beginn an nicht übermäßig sympathisch oder glaubwürdig - zumal er gerade in einem Prozess wegen Königsmord verurteilt wurde.

Nach dem Prolog erzählt Mikael, wie es dazu kam. Er ist wird dabei kein strahlender Held, bleibt zweifelhaft in Entscheidungen und Handlungen. Damit ist auch der Erzähler und ist die gesamte Erzählung zunächst in einer moralischen Grauzone und man mag an manchen Dingen zweifeln. Gleichzeitig erhält man den Eindruck, dass der Erzähler zwar fragwürdig handelt, im Grunde aber ehrlich und wohlmeinend ist

Besonders brisant: Eigentlich ist es Aufgabe der Königmanns in der Stadt Kessel, die Herrscherfamilie zu beschützen und ein Sprachrohr für das gemeine Volk zu sein. Dieses Sprachrohr fehlt nun seit Jahren und Spannungen steigen. Als sich ihm die Gelegenheit bietet, an den Hof zurückzukehren, ergreift Mikael diese.

Figuren: Eher blass

Die Perspektive des Ich-Erzählers prägt den Roman in mehrerer Hinsicht: Was Mikael nicht weiß, erfährt der Leser auch nicht. Das führt dazu, dass viele Figuren weniger ausgestaltet sind als bei einem allwissenden Erzähler. Ihre Gedanken oder Pläne erfährt man nicht, sie bleiben einem fern. Bei mancher Nebenfigur kam ich selbst am Ende des Buchs noch durcheinander.

Von Mikael erfährt man naturgemäß mehr. Er ist kein einfacher Protagonist mit dem man sich sofort identifiziert. Er betrügt, sieht sich aber als moralisch hoch stehend an - und mit einer wichtigen Aufgabe betraut. Er macht viele Fehler. Er trifft zweifelhafte Entscheidungen; mitunter auch dumme. Er ist wankelmütig. Auf den Punkt gebracht: Mikael Königmann ist kein Held mit klarem Ziel, sondern eine Figur, die ihren Weg erst noch finden muss.

Dabei gilt ihm seine Familie und deren Pflicht am meisten. Aber hat diese Pflicht nach allem, was geschah noch eine Bedeutung? Kann Mikael für seine Familie sprechen? Wäre es nicht besser, Kessel einfach zu verlassen und ein neues Leben zu beginnen?

Handlung: Politik und Co

Bei diesen Fragen kommt es gerade recht, dass nicht nur Mikael selbst die Wahrheit herausfinden will. Denn auch ein Adeliger glaubt nicht, dass Mikaels Vater den Prinzen ermordete. Das kommt Mikael entgegen und er landet in etwas, das man einen dezenten Kriminalplot innerhalb der Stadtpolitik nennen kann.

Diese Handlung ist eher langsam, manchmal auch ein wenig langwierig, da der Erzähler schwankt, der mal so und mal so und dann doch wieder so möchte. Insgesamt ist der Stil unspektakulär, nicht herausragend aber sehr gut lesbar. Und mich fesselte die Geschichte auch so.

Einen Teil tragen dazu die vielen Ungereimtheiten bei, auf die Mikael stößt: Geheimnisse, Lügen, verdrehte Wahrheiten - durchaus mit dem Potenzial, Kessel zu erschüttern. Mikael ist allerdings kein Protagonist, der diese Ereignisse auslöst. Vielmehr sucht er seinen Weg während die Dinge um ihn herum geschehen und ihm in die Hand spielen oder behindern. Das gilt für einen Rebellenangriff, ein herabstürzendes Mondteil oder auch den Auftrag des Adeligen. Ein einzelner Söldner, der den Serientitel noch nicht wirklich rechtfertigt, stößt Mikael in seiner Suche gleichfalls voran. Auch wenn Mikael weit davon entfernt ist, passiv zu sein und sich treiben zu lassen: Ein Held der letztlich doch nur beschränkte Mittel hat, ist auch nicht jedermanns Geschmack. Ich fand es interessant, auch weil Mikael gleichzeitig deutlich mehr Möglichkeiten hat als jemand, der nur reagieren kann.

Weltenbau: Stadt-Setting

Und auch das Setting gefällt mir. Hier steht die Stadtstaat Kessel und ihre Gesellschaft im Vordergrund. Typisch wären bei einer Adelsgesellschaft viele Intrigen. Das Königreich der Lügen ist aber verhältnismäßig geradlinig wenn auch nicht weniger gefährlich - nicht umsonst ist der Thronfolger offen als Verdorbener Prinz bekannt.

Örtlich gesehen bildet Kessel den Mittelpunkt der Handlung. Es tauchen aber auch Fragen auf: Warum sollte jemand vom Mond erschlagen werden? Was sind Vergessene oder Geopferte? Später erfährt man es und bis kann ich diese Lücken gut hinnehmen, da sie keine grundsätzlichen Fragen aufwarfen.

Nicht auf ihre Kosten kommen werden allerdings Fans von extensivem Weltenbau mit vielen Details. Denn Besonderheiten wie ein zerbrochener Mond geben der Welt Eigenheiten, spielen aber in der Handlung eine eher kleine Rolle. Sie werden ebenso wenig vollständig oder genauer erklärt wie andere Länder oder auch die nähere Geschichte und die Umstände der aktuellen Situation.

Dies und die restliche Welt werden nur angedeutet, lassen vieles offen: Es gab einen Schießpulverkrieg; vor der Stadt lagern Rebellen, die der Magie der Adeligen Schusswaffen entgegensetzen. Entfernte Länder und andere Städte mit gespannten Beziehungen sowie einige Söldnertruppen finden Erwähnung. Diese Söldner unterscheiden sich vom Üblichen: Hier sind nomadische Stadtstaaten für die besondere Gesetze gelten und die auch anderweitig eine ernstzunehmende Macht sind. (Bislang spielen sie aber nur eine Nebenrolle; Söldnergeschichten oder auch die Geschichte eines Söldners bekommt man nicht.) Nick Martell gelingt es hier, den Hintergrund gleichzeitig vage zu lassen und mich neugierig auf mehr zu machen.

Weltenbau: Magie und Schwarzpulver

Und aus einem zweiten Grund finde ich die Welt des Söldnerkönigs interessant: Es ist nicht die typisch mittelalterliche Welt. Sie ist irgendwo zwischen Mittelalter und technologischer Revolution. Es gibt Schießpulver - aber das scheint der einzige bemerkenswerte Fortschritt zu sein. Die Stadt und die Gesellschaft wirken an der Grenze zur frühen Neuzeit. Und trotzdem bleibt es Fantasy.

Denn auf der anderen Seite des Schießpulvers wirken die adeligen Fabrikatoren Magie. Vor allem wegen ihnen sind Schusswaffen in Kessel verboten, denn mit ihnen sind auch sie verletzlich wie alle anderen. Folgerichtig sind es die Rebellen, die auf Schusswaffen setzen und damit die implizite Kluft zwischen Adel und armer Bevölkerung überbrücken.

Erneut sieht man hier einen sparsamen Umgang mit Details: Was die Rebellen genau wollen, wird nie gesagt. Und das muss es auch nicht - in groben Zügen kann man es sich denken; und vielleicht wird man später überrascht.

Auch die Magie an sich gefällt mir: Fabrikatoren sind zunächst durch Veranlagung eingeschränkt. Zudem müssen sie beim Fabrizieren gut aufpassen, denn unachtsam droht ihnen der Verlust ihrer Erinnerungen - für immer.

Beim zweiten Teil bin ich garantiert wieder dabei: Die Welt von Kessel fühlt sich anders an als viele Fantasy-Romane. Dreckig und düster; ein gutes Stück wie Urban Fantasy zu einer früheren Zeit. Allerdings nicht wie epische Fantasy, wie teilweise beworben - und gerade durch das Setting etwas anders als viele Romane.

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Avatar von nico Rezension von: (Grimoires.de)
Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.

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