Die Götter müssen sterben
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Kurz & Knapp
- Düstere Perspektive auf Griechische Mythologie
Bei den Griechen gelten Frauen wenig. Über sie wird verfügt; bei den Amazonen ist dies anders. Nachdem jene Wilden in Athen einfallen, schlägt sich Areto auf ihre Seite und flieht in ihr Reich. Doch sie ist und bleibt keine Kriegerin, sondern Schreiberin, über der seitdem ein steter Schatten hängt. Doch ausgerechnet sie ist es, die von Artemis gesegnet wird - und damit das Volk der Amazonen spaltet. Denn einen Teil der Amazonen drängt es zum Krieg um Troja, wo der größte Ruhm der Zeit ebenso wartet wie die Rache an den griechischen "Helden", die einst die ihren entführten. Aber nicht nur Menschen mischen mit, auch Götter - und Verrat und dunkle Geheimnisse gibt es an vielen Stellen ...
Das Buch erhält 9 von 10 Punkten.
Mit Die Götter müssen sterben zeichnet Nora Bendzko ein durchaus unübliches Bild von den Amazonen. Gekonnt verwebt sie die Geschicke des kriegerischen Volks mit den Erzählungen der griechischen Mythologie und setzt eigene Akzente. Neben einem sexuellen Unterthema vielleicht am bemerkenswertesten: Trotz aller Helden und Halbgötter ist die Geschichte moralisch grau und keine Seite kommt wirklich gut weg. Die Welt ist sehr düster gezeichnet, ohne wirkliche Sieger. Mir hat dies außerordentlich gut gefallen.
Bekannte Namen der Mythologie
Nora Bendzkos Roman führt schnell die ersten Helden ein und setzt damit die Kulisse der griechisch-mythologischen Antike: Herkules und Theseus. Ihnen gesellen sich verschiedene olympische Götter und weitere Helden zu, ebenso wie bekannte Namen der Amazonen. Gen Troja, das im Werbetext stark hervorgehoben wird, geht es jedoch erst zum Finale.
Der Roman insgesamt zeichnet sich durch eine veränderte Perspektive aus. Von Zeus kennt man schon seine vielen Eskapaden und Affären. Ob seine neueste Liebschaft dabei willig war, interessierte den Herrn der Olympioi eigentlich nie. Dieses Thema wird vertieft: Schon zu Beginn wird eine Amazone entführt; was als ehrenhafter Sieg verkauft wird, war ein feiger Überfall mitsamt Entführung und Erpressung. Dieses Schema begegnet auch später immer wieder. Und nicht nur bei den Griechen: Den Amazonen gilt der Kampf als ehrenhaft und hohes Ziel, gleichzeitig bringt er fast immer Leid und auch bei ihnen gibt es Ungerechtigkeit.
Die Autorin greift bei ihrer absolut eigenen Geschichte auf bekannte Motive und Figuren der griechischen Mythologie zurück: Man trifft auf Orphiker, die Unterwelt, verschiedene Götter und Helden. Auch die bekannten Geschichten findet man erneut - wobei es schon von diesen oft genug Varianten gab. Nora Bendzko ändert die Perspektive weiter. Um die Götter als fehlbar darzustellen, braucht es keine Anstrengung. Aber auch die Helden der Griechen kommen schlecht weg - und die Amazonen sind ebenfalls keine unfehlbaren Heldinnen, sondern kommen mit eigenen, teils massiven Fehlern daher.
Wenngleich auch ohne entsprechendes Vorwissen lesbar, dürften nur Leser, die sich einigermaßen im Altertum auskennen, den vollen Genuss aus den zahlreichen Referenzen und Änderungen ziehen.
Materialtreue & Abweichungen
Auf bekanntem Material aufzubauen, birgt eine große Gefahr: Das Ausgangsmaterial ist bekannt. Eine Leserin könnte kritisieren, dass die Geschichte dadurch vorhersehbar wird; ein anderer Leser könnte wiederum kritisieren, dass etwas anders ist, als sie richtigerweise gehöre. Beide haben durchaus einen Punkt.
Persönlich bin ich ein großer Fan von Intertextualität, also der Verarbeitung älterer Texte, der Anspielungen und der Veränderung dieser. Keiner der beiden Punkte macht mir etwas aus. Und im konkreten Fall halte ich Nora Bendzkos Adaption bekannter Motive und Figuren für absolut gelungen.
Ja, wer die Namen Achilles, Patroklos und Penthesilea hört, noch dazu in Verbindung mit Troja, der mag erahnen, wie diese Geschichte enden wird. Doch die Autorin ändert genug, dass mir bis zur erwarteten Szene das Gefühl blieb, dass es genau hier einen Twist geben könnte. Ich könnte hier noch einige Beispiele anführen, würde damit jedoch den Spaß am Entdecken nehmen.
Letztlich bleiben die großen Linien und die wichtigen Ereignisse erhalten. Das Aufeinandertreffen bestimmter Figuren wird weniger durch die Begegnung an sich geprägt, sondern durch vorausgehende Szenen und Rückblenden. Schon diese haben der klassischen Erzählung einen deutlichen Twist gegeben, sie verändert. Das Heldenhafte verschwindet dabei. Die Moral wird mehrdeutig, die Ergebnisse der Handlungen sind oft tragisch, selten ohne Konsequenz - und selbst die Götter entzweien sich nur weiter, ohne dass jemand wirklich siegt.
Nebenthema Sexualität
Neben der Mythologie spielt auch das Geschlechtliche und die vielen möglichen Spielarten von Sexualität und Beziehungen konstant eine Rolle. Schon Areto zu Beginn findet sich in einer problematischen Situation wieder: Wider ihren Willen wurde sie verheiratet und ist schwanger. Als die Amazonen eine der ihren von Theseus befreien wollen, entschließt Areto sich zur Flucht zu diesen.
Es wäre nun einfach, die Gesellschaft der Amazonen als durchweg besser darzustellen. Dieser Versuchung gibt die Autorin nicht nach. Sexuell gesehen ist es bei ihren Amazonen hingegen durchaus freier: Von Polyamorie und monogamer Liebe, Hetero-, Homo- und Bisexualität bis hin zu Asexualität findet sich alles repräsentiert und weitgehend akzeptiert.
Zu Anfang fürchtete ich, dies könnte eine massive Agenda der sexuellen Befreiung und Akzeptanz werden. Glücklicherweise ist das nicht so. Zwar bleibt das Thema präsent und spielt in mehreren Romanzen eine nicht unwichtige Rolle, drängt sich jedoch nicht zu sehr auf. Selbst die erotischen Szenen sind eher dezent. Eine moralische Wertung wird nie implizit - abgesehen davon, dass Verschleppung und Vergewaltigung definitiv nicht gutgeheißen werden.
Gemischte Figuren
Mehrfach deutete ich schon an: Nora Bendzkos Amazonen sind keine strahlenden Heldinnen. Sie sind realistischer gezeichnet. Unter ihnen gibt es strenge, stoische Strategas und vulgäre Kriegerinnen. Einige lieben ihre Ehemänner aufrichtig, andere ergötzen sich am Schmerz ihrer Sklaven - und natürlich haben Sklaven selbst überhaupt keine freie Wahl.
Gegenspieler und Gegenpart der Amazonen sind nominell die Griechen. Mit ihren Helden teilen die Amazonenköniginnen das Blut der olympischen Götter und könne insbesondere auf die Gunst einiger Göttinnen zählen. Aber die Götter selbst waren schon immer chaotisch und zerstritten. Die Helden verfallen dem Götterwahn. Und auch die Amazonen haben mehr als ein düsteres Geheimnis in ihrer jüngsten Vergangenheit. Das Blut des brutalen Kriegsgottes Ares in ihren Adern wird ihnen dabei oft genug zur Last - und letztlich will Ares (auch sexuell) über die Amazonenköniginnen bestimmen. Letztlich gilt dies ähnlich für alle Olympier: Sie sind keine fürsorglichen Götter, sondern denken nur an sich.
Dies führt dann auch zum Konflikt, den der Romantitel andeutet. Allerdings finde ich ihn nur am Rande relevant: Die Amazonen ziehen nicht gegen den Olymp, sondern nach Troja. Dort sind zwar auch einige Götter auf dem Schlachtfeld, aber die tragischen und unwiederbringlichen Verluste werden wie immer von Menschen erlitten. Der Titel ist damit so ziemlich mein größter Kritikpunkt: Ich finde ihn nicht sonderlich passend.
Wessen Geschichte ist dies?
Letztlich kann man auch fragen, wessen Geschichte dies eigentlich ist. Dem Werbetext nach ist es (neben den Amazonen) die Geschichte Aretos, der die Erzählung weitgehend folgt. Ich tue mich aber schwer, sie als alleinige Protagonistin zu bezeichnen: Die Amazonenkönigin Penthesilea nimmt gefühlt ebenso viel Platz ein. Auch die Amazone Clete und die Göttin Artemis steuern regelmäßig Perspektiven bei - gerade Artemis' in einem deutlich anderen, äußerst gelungenem Stil. Weiter Nebenfiguren dienen zwar nicht als Perspektivfigur, blieben mir jedoch ebenfalls als markant zurück.
Um die Frage zu beantworten: Ich denke nicht, dass dies die Geschichte einer einzelnen Figur ist. Es ist vielmehr ein größerer, düsterer Konflikt, in den viele Figuren hineingezogen werden. Ein Konflikt, der zudem einen offenen Ausgang hat. Dabei überraschte es mich ein wenig, dass mir weder fehlende Identifikationsfigur noch offenes Ende etwas ausmachten.
Der Roman profitiert dabei von den bekannten Quellen: Wir wissen, wie der Trojanische Krieg ausging; wir ergänzen manche Lücke bewusst oder unbewusst.
Wie es mit einigen individuellen Figuren aus- und weitergeht, bleibt jedoch Spekulation. Ich erwarte keine Fortsetzung. Im Gegenteil: Ich glaube eher, diese könnte den runden Abschluss nur ruinieren. Es brennt mir nicht so sehr, wie bei mancher anderen Geschichte, das genaue weitere zu erfahren. Das Ende ist eine Mischung, die den Roman insgesamt widerspiegelt: düstere Niedergeschlagenheit mit einer guten Portion Unvermeidlichkeit und einer Prise Hoffnung.
Am Ende kann ich mein Fazit kurz halten: Amazonen-Fans mit Faible für die griechische Mythologie und düstere Fantasy: Zugreifen! Das Buch ist schneller ausgelesen, als man denkt.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
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