Ströme der Macht
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Kurz & Knapp
- Nach wie vor interessante Welt, aber leicht im Hintergrund
- Keine Identifikationsfigur
- Viele Episoden - wo geht es hin?
Völlig unerwartet wurde der Maler Quilûn zum Grafen des Tiefen Hauses Schneegrund ernannt. Doch auf dem Berg Ianapat heißt ihn eine Fehde willkommen und überdies leidet er unter den Auswirkungen der Quadra-Dämpfe, die ihn bei der Rettung seines Sohnes vergiftete. Semire, einzige Tochter des verstorbenen Grafen, lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen, die Fäden in die Hand zu nehmen, indem sie ihn mit einer Droge der Quadra versorgt. Aber auch abseits der Fehde reißen die Probleme nicht ab: Die Gravilier bringen den Krieg zum Berg - und der verstorbene Graf hatte geheime Pläne, die seine engsten Vertrauten mittels verbotener Magie weiter vorantreiben und alles, wofür das Haus Schneegrund steht, vernichten könnte.
Das Buch erhält 8 von 10 Punkten.
Der Auftakt der Reihe begeisterte mich, unter anderem mit einer ungewöhnlichen Art Magie. Dieser zweite Teil kann das nicht ganz halten. Zwar ist die Magie da, wird aber Teil des schon bekannten Settings. Selbst die Gezeiten der Macht sind "nur da" und werden kaum genauer erkundet. Mir blieb das Gefühl, dass zu viele Unterhandlungen eröffnet werden. In Summe scheint keine treibend oder auf ein Ziel führend zu sein. Das klingt aber abwertender als gemeint, denn gute Unterhaltung ist der Roman trotzdem.
Figuren
Wie bereits im ersten Teil gibt es auch in diesem zweiten keine echte Identifikationsfigur. Dabei bekommen zahlreiche Charaktere mehr Farbe, insbesondere über Semire lernt man mehr. Und auch einige andere Figuren bekommen durch einzelne Facetten individuelle Züge - Genaueres bleibt aber oft ungesagt und im Nebel. Das verursachte mir ein kurioses Gefühl: Auch wenn ich einige Figuren mochte, blieben sie mir distanziert. Und oft fragte ich mich, was aus einigen Handlungspunkten werden sollte.
Ein gutes Beispiel ist Quilûn - in manchem anderen Roman wäre er Protagonist oder (Anti-) Held: Er ist süchtig nach der Droge der Quadra. Und er ist Graf, malt aber weiterhin seine erstaunlichen Gemälde. Und das ist es dann fast. Er lernt einige Vorteile der Macht kennen, hat aber natürlich seine Sicht als Nicht-Adeliger, ist insgesamt kooperativ und nicht allzu dumm. Einiges ist hier absehbar und könnte auch kaum anders sein. Aber insgesamt treibt Quilûn in einer vorbestimmten aber unklaren Bahn; ein Gefühl, das ich auch insgesamt hatte.
Dabei schätze ich es, dass auch Nebenfiguren grundlegende Motivationen und persönliche Probleme erhalten. Das macht sie lebendiger, ohne dass sie zu viel Platz einnehmen. Aber: In Summe tragen sie dazu bei, dass ich den Roman nicht noch besser finde.
Worum geht es eigentlich?
Denn man darf durchaus fragen, wohin die Geschichte eigentlich geht. Die Gezeiten der Macht wurden am Ende des letzten Bandes zum Thema und dürften das Zentrum sein, um das sich alles dreht. Gleichzeitig geschehen aber extrem viele andere Dinge:
- die Fehde zwischen Schneegrund und Schwertgrat,
- der Krieg mit den Graviliern,
- Semires Ambitionen und persönliches Leben,
- die Steinmagie,
- das vergessene Volk der Gravioner,
- die Drogensucht des Grafen,
- die Malerei des Grafen,
- die Geister im Berg,
- ...
Manche dieser Dinge könnten einen eigenen Roman füllen oder eine längere Kurzgeschichte. Natürlich trägt all dies zum Feeling dieses Romans bei, wie auch die Facetten bei Nebenfiguren - und das ist gut. Andererseits führt es dazu, dass bereits vorhandene offene Fragen weiter offenbleiben. Vieles schwelt vor sich hin oder driftet vage in eine Richtung. Ja, es gibt einen Plan und eben die Gezeiten der Macht. Und sie sind auch so etwas wie das zentrale Thema. Aber ich mag es keine zentrale Handlung nennen. Denn es dreht sich zwar alles um sie, aber trotzdem sind sie für das Geschehen meist nur indirekt relevant. Hier ist es ähnlich wie mit der nicht vorhandenen Identifikationsfigur: Wem folgen wir eigentlich?
Flottes Tempo
Oft verlieren Romane mit diesen Problemen die Geschichte aus den Augen - und Fantasy kennt mehr als eine Serie, die allein ein ganzes Regal füllt. Hier trifft dies jedoch nicht zu. Es geht immer weiter. Stets passiert etwas. Und das liest sich durchaus flott. Was fehlt ist das Ziel: Als Leser weiß ich nicht, worauf das hinauslaufen soll - selbst der Plan des alten Grafen bleibt verborgen. Die Sympathien sind dabei recht klar verteilt und natürlich führt die Ungewissheit auch zu Spannung. Es würde mich nicht einmal überraschen, wenn plötzlich eine unerwartete Figur ganz im Zentrum steht, wie etwa ein besonderer, neuer Imagolem. Aber dieses fehlende Ziel lässt mich etwas in der Luft hängen.
Im Sinne der Handlung geht Ströme der Macht einen Schritt vorwärts. Wie Berg der Macht endet auch dieser Roman mit einer Schlacht. War es dort die erklärte Fehde, trifft am Ende dieses Romans die Armee der Gravilier ein. Das ist nahezu zwangsläufig; dass diese Armee kommt, stand schon im vorigen Roman fest.
Zum fehlenden Ziel trägt bei: Im Rückblick scheint wenig von dem, was einzelne Figuren taten, etwas zum Ende beizutragen. Natürlich wurde die Schlacht vorbereitet; natürlich wurden Dinge in eine bestimmte Richtung angestoßen. Aber der Roman endet zu dem Zeitpunkt, als diese Vorbereitungen in Effekt treten. Man sieht eine sofortige Wirkung; die vollen Konsequenzen wird erst der nächste Roman zeigen.
Welt und Magie
Im ersten Band lobte ich ausdrücklich den Weltenbau und die frische Idee der Steinmagie. Diese wurden weniger zentral, rückten in die Kulisse. Einzelne Elemente sind immer noch interessant; aber es hat sich auch ein wenig abgenutzt. Das Setting ist bekannt.
Über vieles wird auch hinweggegangen: Die Armee der Gravilier marschiert, wird zwischendurch erwähnt und ist dann am Ende da. Über die Gravioner, von denen ich vermutet hatte, dass sie viel wichtiger würden, erfährt man kaum etwas. (Und ist es purer Zufall, dass Gravilier und Gravioner sich sehr ähnlich schreiben? Vielleicht Zufall, vielleicht falsche Fährte, vielleicht aber auch nicht.) Persönlich hätte ich mir etwas mehr zur Welt insgesamt gewünscht statt zu einzelnen Figuren.
Trotz Zerfaserung: Gute Unterhaltung
All das klingt negativer als ich es meine. Ich habe Ströme der Macht genossen. Klar finden sich einige Standards, sonst wäre es auch keine Fantasy mehr. Es ist mir bewusst, dass meine Kritik leicht paradox ist: Die Handlung lässt sich grob wiedergeben, aber einen Fokus oder ein klares Thema/Ziel zu benennen ist schwer. An der Oberfläche haben wir einen Krieg, politische Intrigen und die Geister der Unsterblichen. Ziele einzelner Figuren bilden dabei nur eine leichte andere Perspektive. Am ehesten kann ein epischer Konflikt gesehen werden im Wunsch nach Unsterblichkeit oder einer besseren Welt der Lebenden.
Dabei sehe ich aber auch keine Vision der Sympathieträger. Ich kann nicht richtig mitfiebern, wenn sie ihr Ziel zu erreichen versuchen. Leser, die eine Identifikationsfigur brauchen, werden es schwer haben. Ich brauche sie normalerweise nicht und fühle mich trotzdem etwas verloren. Dennoch: Dritten Teil rüberreichen, bitte!
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
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