Höllenhund
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Kurz & Knapp
- Stil extreme Geschmackssache: Nahezu bildlos
- Einige Ideen, die jedoch verknappt daherkommen
- Bewusst anders als die meisten Romane
Hans hat es nicht leicht mit seiner Familie und den Nachbarn - und kennt noch nicht einmal alle Probleme, als der Vater seiner Freundin ihm Meditation empfiehlt. Diese bewirkt einiges: Hans beginnt einen Comic, in dem er neues Selbstbewusstsein findet. In diesem wird der Bettler Hansgar zum Kriegerpriester der Göttin Zulora und stellt sich dunklen Mächten. Doch die Comics scheinen nicht einfach nur eine Geschichte zu sein. Einiges von dem, was Hans zeichnet, findet auch in seiner echten Welt statt. Während Hans zeitweilig gar nicht aufhören kann, zu schreiben, tauchen auch Symbole aus seiner Comicwelt auf.
Das Buch erhält 6(+) von 10 Punkten.
Mit Höllenhund legt Lew Marschall einen Debütroman vor, der eine recht bekannte Story erzählt. Auffällig ist die Erzählweisedes Romans: wenig ausmalend; eher rein schildernd, oft verkürzend. Dadurch kamen mir die Figuren kaum nahe und ich fand manche Wendung unmotiviert, nicht nachvollziehbar. Auf der Plus-Seite hebt sich dieser Roman vom Üblichen ab und reißt viele Themenfelder an - aber zu viele um sie alle nahezubringen.
Auffälliger Erzählstil
Das Auffälligste an diesem Roman ist zweifellos der Erzählstil. Mancher Autor verliert sich in ausschweifenden Details zur Welt, beschreibt jedes Blütenblatt. Das nennt man mitunter scenery porn. Höllenhund macht das Gegenteil, aber nicht nur mit der Welt, sondern auch mit Handlungen und Gedanken der Figuren.
Zunächst erinnerte mich das an eine Kurzgeschichte. In dieser liegt es an der Gattung, dass verkürzt wird. Aber das trifft den Stil dieses Romans nicht ganz. Auch hier fühlt die Hauptfigur einfach Furcht - und das war's. Figuren sehen wunderschön aus und damit hat es sich. Eine Segnung gelingt und alle sind im Paradies; fertig. Göttlicher Segen ist da ... ja, einfach da. Im Endeffekt ist dies das Gegenteil der üblichen Schreibermaxime show, don't tell.
Zufällig entsteht so etwas nicht, zumindest nicht in der Konsequenz, mit der der Autor diesen Stil durchzieht. Denn es ist keineswegs so, dass er nur unbedeutende Szenen derart behandelt. Auch Schlüsselszenen werden ohne Details erledigt: Begegnung mit den Eltern; Konfrontationen; Momente der Erkenntnis; Zeit des Lernens; Finalkampf. Alles schnell erledigt.
Mir sagt dieser Stil in allen Lagen nicht zu. Durch ihn wirken wichtige Augenblicke genauso beliebig wie ander Momente. Das ist in vielleicht realistischer als Zeitlupen und besonderer Fokus, aber es nimmt wichtigen Momenten die Besonderheit und der Geschichte (denn eine Geschichte soll es ja sein, keine stoisch-statische Aufzeichnung einer Kamera) die Akzente.
Problem: Distanz
Der Erzählstil hat ganz konkrete Konsequenzen. Zusammenfassend kann man sagen, dass mir alles fern bleibt.
Die Figuren: Ich kann ihre Motivationen nicht nachvollziehen oder verstehen. Das gilt meist für den Helden und fast immer für andere. Eine Gegnerin verschwindet einfach, ebenso ist die große Liebe plötzlich einfach nicht mehr da. Und apropos: Dass er sich Kriegerpriester nennt - ok; aber warum glaubt ihm sofort jeder? Für mich nicht nachvollziehbar und durch die Kürze auch unglaubwürdig, wie manche andere schnelle "Entwicklung".
Die Welt: Vieles wird im Halbsatz nachgeschoben. Der Held erfährt über seine Abstammung auf einer Seite, die Götter werden irgendwann nachgeschoben und auch dann nicht wirklich erklärt. OK, Weltenbau im Detail brauche ich nicht - aber hier konnte ich mir nicht einmal ein zusammenhängendes Weltbild malen.
Die Zeit: In unserer Welt vergehen ein paar Monate; in der Comicwelt einige Jahreszeiten. Diese nahm ich jedoch kaum wahr und blätterte am Ende zum Prüfen zurück. Durch den gleichförmigen Stil stumpfte ich hier ab, ein Gefühl vergehender Zeit entstand nicht.
Der Dialog: Wenn er denn da ist, wirkt er oft künstlich, melodramatisch. Oder vielleicht besser: theatralisch. Denn auf einer Theaterbühne könnte ich ihn mir manchmal durchaus vorstellen. Dort muss er die Handlung vorantreiben und erzählen, was keinen Platz hat oder nicht dargestellt werden kann.
Und erneut: (Bildhafte) Darstellung ist es, auf die dieser Roman verzichtet. Die Geschichte ist auf die Knochen reduziert. Ganz selten und nur kurz wird es durchbrochen, in einigen Kämpfen - aber dann doch nicht ausgekostet, sondern geradezu unaufgeregt und undramatisch abgehandelt. Aus diesem sticht vor allem das Ende heraus, das ich deutlich gelungener finde als den Rest des Romans - und eine absolut "wunderbare" Randfigur ist die vielleicht memorabelste.
Parallelwelt und Problembewältigung
Über jenes Ende könnte man versuchen, den Stil zu erklären. Es gibt eine Rahmenhandlung mit Prolog und Epilog, in der eine weitere Figur die Geschichte erzählt. Außerdem schreibt Hans die Geschichte in seinem Comic - hier würde der Stil besser passen; für den gelesenen Roman fehlt aber das Bild und auch dieses wäre vermutlich noch verkürzt. Ohnehin ist dies müßige Spekulation.
Klassisches Fantasy-Element bleiben die zwei Welten: Hans in unserer Welt; Hansgar in der Comicwelt. Und Hans erkennt im Kriegerpriester zunehmend sein Gegenstück. Man kann geradezu erwarten, dass er irgendwie in jene Welt gezogen wird oder dass irgendetwas passiert, denn seltsame Zufälle häufen sich. Hier geht Lew Marshall aber einen ungewöhnlichen Weg mit diesem Doppelsetting und das meine ich durchaus positiv.
Denn statt der Reise des Helden in die Sekundärwelt wirft der Autor implizit einige Fragen auf. Vielleicht die zentrale: Können reale Probleme durch Kunst und Fantasie bewältigt werden? Hans beginnt früh mit Meditation und diese hilft ihm. Hansgar ist dabei ein Spiegel für ihn selbst. Die Handlung reißt zahlreiche Konzepte an: Loyalität, Liebe, Pflicht, Selbsterfüllung, Schicksal. Aber auch hier bleibt es beim beschriebenen Stil. Es geht nie in die Tiefe und selbst tiefgreifende Lebensentscheidungen fallen in einem Absatz; große Fragen werden nicht thematisiert. Das empfand ich insgesamt zu abrupt, zu dumpf und hätte mir mehr Ausgestaltung gewünscht. Die einzige starke Szene, die in meinem Kopf bleibt, ist Hans' Finale, das gefühlt bildhafter war als der Rest der Geschichte zusammen.
Hans' Entwicklung war für mich auch interessanter als die Geschichte von Hans. Zwar erscheint mir seine Entwicklung und Selbstfindung an vielen Stellen zu schnell (von 0 auf 20 Minuten mit 16kg Kettlebell in weniger als einem Monat? Äh - neee.), aber die Veränderung ist trotz Verkürzung spürbar - wenn auch nicht immer nachvollziehbar.
Ich kann mich nur wiederholen: Das Geschehen wirkt auch hier stark verknappt; das liegt auch an der unspürbaren Zeit. Aber für mich positiv: Weder Hans noch Hansgar sind der reine strahlende Held - und auch kein typischer Antiheld. Hansgar war mir sogar recht unsympathisch.
Folgeschäden des Stils
Ich könnte nun noch viele Dinge aufzählen und an einzelnen Beispielen belegen. Dass eine Helferfigur plötzlich Verräter ist; dass Figuren einfach so verschwinden. Und andere. Dass mich manche Namen irritieren: Wieso heißt ein Höllenhund Samael - ein nicht ganz unbekannter Engel. Kokytos (ein Fluss der griechischen Unterwelt) für einen Todesgott passt da eher, ebenso Penelop. Agatha ist geradezu ironisch und ihre Bezeichnung als Inquisitorin seltsam. Eine nachgeschobene Erklärung ... erklärt mir nichts. Was ist der Zweck? Was für ein Bild von Inquisition gibt es hier - oder gilt nur die "Untersuchung"? Diese Bezeichnungen und Namen kommen mit Vorbedeutung daher und das macht ihre Verwendung seltsam. Ich verstehe diese Welt und ihre Zusammenhänge oft nicht. Und hier drehe ich mich mit meinen Aussagen im Kreis, denn das eine bedingt das andere, von Figuren die alles sofort glauben bis hin zu Göttern, die sich irgendwann mal spontan für ein paar Zeilen einmischen und Figuren, die im Finalkampf zum ersten mal sprechen.
Fazit: Oft fand ich das Lesen dieses Romans mühsam. In die Welt wurde ich nicht hineingezogen. Und das ist schade, denn trotz bekannter Geschichte hatten einige Ideen etwas. Das Ende gefiel mir besser - aber wenn die ganze Reihe in diesem Stil ist, verzichte ich. Interessenten empfehle ich einen Blick in die Leseprobe oder das Lauschen auf einiger Lesungen.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
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Leseprobe
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