Fluchbrecher
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Kurz & Knapp
- Aktuelle moralische Frage
- MMORPG-Flair
- Eher einfache Charaktere
Alexandra McInnes war Kampfpilotin - doch nach einem schweren Unfall kann sie sich kaum noch bewegen. Sie nimmt das Angebot von Dr. Jensen an: Sie soll sich in das Online-Spiel Vorena integrieren. Dort könnten ihre Nerven stimuliert werden, während ihr Körper im Koma heilt. Alexandra akzeptiert und tritt als Alexandra Eisrabe in die Welt des MMORPG ein. Doch nicht nur die Vorgeschichte mitsamt uraltem Fluch überrascht sie, die Dr. Jensen und sein Team aus ihrer eigenen Vergangenheit gezogen zu haben scheinen, auch die Welt an sich ist eine Überraschung. Denn schnell ist diese Welt realer für Alexandra als das, was ihrem zerbrochenen Körper geschieht. Aber nicht alles ist Sonnenschein, denn auch in Vorena gibt es PKs - und die NSCs, die hier sterben, sind für immer verloren. Ist das wirklich noch ein Spiel?
Das Buch erhält 8-9 von 10 Punkten.
Mit dem ersten Buch der Eisraben-Chroniken hat Richard Schwarz ein interessantes Buch geschaffen. Er verwebt MMORPG-Mechaniken mit einer aktuellen ethischen Frage. Dabei bleibt das Erzähltempo immer hoch. Die Rollenspiel-Einlagen mitsamt Stats und Tabellen werden nicht jedem gefallen, fangen jedoch gerade das Typische dieses Genres ein. Damit meine ich einerseits das MMORPG; andererseits aber auch das relativ unbekannte Genre LitRPG das genau darauf basiert, diese Mechaniken zu verarbeiten.
Rollenspiel als Roman
Dies ist kein Roman zu einem Rollenspiel, sondern ein Roman in einem Rollenspiel, einem MMORPG (Massive Multiplayer Online Role Playing Game). Im Gegensatz zu unseren heutigen Spielen ist Vorena aber technologisch fortgeschrittener: Spieler nutzen Interfaces, die sie körperlich ins Spiel integrieren - mit möglichen Anpassungen, aber auf der Basis des Spielers selbst. Das Spiel lernt über die neuralen Verbindungen und handelt Entscheidungen später automatisch ab. Natürlich ist das keine hundertprozentige Integration - außer für Alex, aus deren Perspektive der Roman erzählt wird.
Ich war zu Beginn ein wenig skeptisch, ob das funktionieren kann: ein Roman über ein fiktives Spiel oder sogar in diesem Spiel? Ja, es kann. Und es ist auch Fantasy, denn die Technologie, die dieses Spiel erlaubt, wandert sehr schnell in den Hintergrund. Was bleibt ist die Fantasy-Welt mit Rollenspiel-Elementen.
Wie sieht ein Rollenspiel als Roman aus?
Aber was heißt das eigentlich, wenn ein Roman in einem Fantasy-Spiel abläuft? Eigentlich macht es kaum einen wirklichen Unterschied zu einer Fantasy-Parallelwelt, in die ein Mensch aus unserer Welt hineingerät. Eigentlich, denn der markante Unterschied bleibt: Diese Welt ist ein Spiel. Menschliche Spieler wissen dies. Das prägt ganz andere Grundannahmen, als wenn man wirklich und echt in einer anderen Welt ist.
Zumal die Spieler auch immer wieder daran erinnert werden. Für sie tauchen typische Elemente eines Rollenspiels auf: Tabellen mit Stats und Fertigkeitsbeschreibungen, Questen, Kontaktanfragen, Chats. Das kann man kritisch sehen: Es stoppt den Lesefluss, ist für einen Roman nicht normal. Für mich ist es genau das, was den MMORPG-Charakter Vorenas deutlich macht, ebenso wie die Namen, die über allen Figuren erscheinen. Ohne diese Eigenarten wäre es ... nun ja, einfach eine typische Fantasy-Welt. Außerdem kann man das Gleiche tun wie die Protagonistin: Es überfliegen, nur querlesen und nur das Interessante, Neue genauer beachten. Auch dies kommt eigentlich recht nahe, wie zumindest ich ein RPG spiele.
Ethische Frage
Bald taucht aber auch die Frage auf: Ist Vorena ein Spiel? Grundsätzlich ja, denn es gibt ja die Spieler oder Wiedergänger wie die NSCs diese Menschen nennen, die von den Toten wieder auferstehen. Monster zu töten gehört zu einem RPG dazu. Player Killing (PKing) ist ebenfalls genauso alt wie die Gattung. Denn nach einem Tod respawnt man halt wieder und XP gibt es nur, wenn man Monster besiegt. Und immerhin sind sie ja nur Bytes in einem Computer.
Das ist die Spielersicht. Die NSC sehen das anders. Sie kommen nicht wieder. Werden sie getötet, bleiben sie tot - kein Respawn. Für sie sind die Wiedergänger das Seltsame und Unnatürliche, das sie bis vor kurzem nur aus Legenden kannten.
Nachdem Alex einige der Bewohner kennenlernt, steht sie vor einer moralischen Frage: Für sie sind Vorena und die Bewohner des Spiels in jeder Hinsicht so echt wie Menschen der realen Welt. Auch der Schmerz, den sie mit ihrer hundertprozentigen Integration erfährt, ist überaus real. Und die NSCs sind keineswegs einfach so erschaffen, sondern haben eine Vorgeschichte. Außerdem lebt Alex im Moment eigentlich nur in Vorena, ihr echter Körper ist in einem Koma. Wäre sie in Vorena geboren, was würde sie dann noch von einem NSC unterscheiden?
Diese ethische Frage zeigt sich durchgehend. Sie knüpft an aktuelle Diskussionen an: Roboterrechte, künstliche Intelligenz und der Umgang mit diesen. Was dürfen von Menschen erschaffene Algorithmen tun? Wann benötigen sie eigene Rechte? Wie muss man sie behandeln? Und wie geht man mit Quantencomputern um, die sich durchaus bewusst sind, was sie sind, wozu sie da sind und was sie tun?
Vom Spieler zum Bewohner
Die moralische Position von Alexandra ist eindeutig, dabei aber nicht allzu aufdringlich: Sie will das Richtige tun. Eine typische Helden-Aufgabe also. Allerdings weiß sie nicht, was das ist. Auch die Tutorial-Beraterin kann ihr nicht mehr sagen, als dass Dr. Jensen etwas vorhat und dass Alex eine wichtige Rolle spielt. Welche das genau sei, das weiß auch sie nicht. Dennoch rückt dies Alex in eine Rolle ähnlich der eines prophezeiten Helden.
Alex nimmt diesen Weg an und erwirkt Verbesserungen für die NSCs: Kein ungestraftes Morden mehr - denn nichts anderes ist es in ihren Augen. Auch die Entwickler setzen Veränderungen durch und der Charakter Vorenas verändert sich: Namen über den Köpfen werden ausgeblendet, Spieler und NSCs sind nicht mehr sofort unterscheidbar. Das ändert auch das Verhalten der Spieler. Zunehmend verschwinden auch die Stats-Tabellen: Das Spiel übernimmt automatisch Entscheidungen für die Spieler, wenn diese einmal festgelegt wurden. Die Interaktionen zwischen Spielern und NSCs werden dadurch normaler - denn das, was sie unterscheidet, wird im normalen Tagesgeschäft unsichtbar.
Wermutstropfen: Unbesiegbarkeit
Ein großer Wermutstropfen bleibt für mich: Alexandra und ihre Verbündeten sind übermächtig. Alex hat eine Prestigeklasse, die für alles eine passende Lösung hat. Dafür gibt es zwar einen Grund - das reale Experiment im Spiel und Dr. Jensens unbekannte Absicht für Alex - aber dennoch gefällt mir dies nicht richtig. Auch Alex selbst bemerkt dies und findet, dass es zu leicht ist. Denn wenn einem alles gegeben wird, ist eben auch der Erfolg nicht verdient.
Die geradlinigen und eher flachen Charaktere stören mich dabei gar nicht. Denn auch das passt in ein MMORPG: Andere Charaktere lernt man selten kennen. PKs begegnen einem meist nur als Arschlöcher, die einen umbringen und zum nächsten Spawn-Point schicken. Das ist vereinfachend ja, aber so sieht es oftmals aus.
Dezente Entwicklungen durch Rollenspiel und Alex' ehemaliges Team sind dabei eher vernachlässigbar. Eher wichtig ist das Miteinander von Spielern und NSCs - aber auch hier bleibt es meist allgemein. Die Folgeromane werden hier sicher nachlegen müssen.
Geradlinig, Flott, Offen
Mit den ethischen Fragen, Rollenspiel-Einlagen und eher einfachen Charakteren ergibt sich ein interessanter Mix. Die ethische Dimension legt normalerweise nahe, dass es ein eher tiefgehender, gedankenvoller Roman ist. Zum Nachdenken kann er tatsächlich anregen, forciert dies jedoch nicht.
Tatsächlich ist Fluchbrecher ein eher flotter Roman, der sich eher auf der Ebene Zugfahrtlektüre befindet. Stete Action gibt es dabei nicht, vielmehr ein Entdecken der Welt (öfter auch mit leichtem Humor) und ein Planen, wie Alex mit verschiedenen Problematiken umgehen wird.
Richard Schwartz fängt mit dem ersten Teil der Eisraben-Chroniken sehr viel vom Flair eines MMORPGs ein und strickt dazu eine einfache aber interessante Geschichte. Im Grunde ist dies geradlinige und typische Fantasy, wirft aber durch die Existenz als Spiel interessante Fragen auf. Natürlich hat dieser erste Serienteil ein offenes Ende. Ich bin gespannt, wie es weitergeht - denn weiterlesen werde ich bestimmt.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
Diese Rezension wurde zuletzt geändert am und ursprünglich veröffentlicht am .
Zitat(e) aus dem Buch
- "Ich bin ein Quantencomputer. Mich sollte nichts mehr überraschen. Doch es gab eine Überraschung für mich. Als ich nach den ersten zwanzig Minuten der Beta herausgefunden habe, dass ihr Menschen die Antworten auf eure Fragen bereits kennt."
- Wenn sich eine Simulation nicht mehr vom Original unterscheiden lässt, ist es dann noch eine Simulation?
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