Jonathan Strange & Mr. Norrell
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Kurz & Knapp
- Fantasy im Jane Austen-Stil
- Gesellschaft der Zeit gut eingefangen
- Langsame Erzählung mit Abschweifungen
Im Jahre 1806 ist die Magie in England verschwunden. Der Rabenkönig, der größte Magier aller Zeiten, wurde nach 300 Jahren Herrschaft über Nordengland nicht mehr gesehen. Nun fragt sich die Gilde der Zauberer von York (allesamt theoretische Gelehrte): Warum? Und wohin ist die Magie? Bald stoßen sie auf Mr. Norrell, der ihnen widerwillig Magie demonstriert und dazu verpflichtet, keine auszuüben. Mit Norrells Ruhe ist es allerdings vorbei. Schnell verschlägt es ihn nach London um sich der Regierung anzudienen. Und fast sofort treten einige Salonlöwen auf den Plan, um von Norrell zu profitieren. Auch die Regierung erkennt in der Magie eine Möglichkeit, England zum alten Ruhm zu verhelfen. Weniger große Pläne hat ein junger Grundbesitzer: Jonathan Strange will Norrells Lehrling werden und zeigt großes Talent. Doch die beiden Magier Englands haben ganz unterschiedliche Charaktere, die sie nicht gut miteinander vertragen. Und auch dass Norrell einen Elfen ruft, um einen mächtigen Zauber zu wirken, hat ungeahnte Konsequenzen ...
Das Buch Jonathan Strange & Mr. Norrell erhält 9 von 10 Punkten.
Zwei Seiten sind nicht genug, diesen Tausendseiter vollständig zusammenzufassen. Das Wichtigste: Strange & Norrell ist in einem Stil geschrieben, wie man ihn von Jane Austen kennt und schafft gerade damit einen besonderen Reiz in einem gesellschaftlichen Regency-England mit Magie. Das führt zu einem eher lansamen Roman, besonders zum Einstieg. Aber auch später schweifen Passagen ab oder bringen die Handlung nicht voran. Aber gerade dies ist reizvoll: Die Figuren sind Menschen innerhalb der Gesellschaft, keine Helden, die einen geradlinigen Auftrag abhandeln.
Fantasy by Jane Austen
Natürlich ist dieses Buch nicht von Jane Austen, sondern von Susanna Clarke. Dennoch kann man vermuten: Hätte Jane Austen Fantasy geschrieben, hätte so etwas wie dieses Buch herauskommen können. Denn Susanna Clarke hat sich mit dem gesamten Stil sehr stark der Autorin des 18. Jahrhunderts angenähert.
Nun ist das nicht zwangsweise gut, denn Schullektüre hinterlässt durchaus negative Eindrücke und der Stil bricht mit den modernen Lesegewohnheiten. Schon beim Durchblättern fallen exzessive Fußnoten auf, teils über mehrere Seiten. Manchmal sind diese "wissenschaftliche" Verweise, manchmal aber auch Geschichten, die für den Roman insgesamt keine Rolle spielen.
Ebenfalls markant: Es gibt keinen großen Konflikt, der für viele klassische Fantasy-Romane so typisch ist. Ja, eine Prophezeiung zur Rückkehr der Magie taucht auf. Aber Norrell will eigentlich nur in seiner Bibliothek sitzen und Strange wählt die Karriere als Zauberer, weil ihm alles andere nicht zusagt.
Dass es beide nach London führt, ist vor dem Hintergrund der Regency-Ära ebenso zwangsläufig wie der große Part, den die Gesellschaft einnimmt: Gleich zu Beginn gerät der sozial ziemlich hilflose Norrell in die Hände zweier Lebemänner, die natürlich nur sein bestes im Sinn haben. Modifiziert wird das reale England natürlich durch Magie und Elfen. Allerdings auf einem sehr niedrigen Niveau, denn immerhin gibt es nur zwei praktizierende Magier in ganz England - und keinen einzigen anderswo.
Hauptplot?
Worum geht es also, wenn es keinen großen Konflikt gibt und selbst die Prophezeiung eher am Rande existiert? Um Charaktere, die ihr eigenes, normales Leben verfolgen. Dies ist untypisch für Fantasy: Üblicherweise werden die Protagonisten auf irgendeine Art Suche geschickt oder haben irgendein Ziel. In diesem Roman werden gesellschaftliche Zwänge und Notwendigkeiten stärker betont.
Zwar hat auch Norrell die vage Idee, sich der Politik anzudienen und England zu helfen, aber das ist eben nicht die klassische Aufgabe eines Helden. Am ehesten kommt dieser noch Strange nach, der sich in die Napoleonischen Kriege einmischt. Aber auch er ist nicht der alleinige Retter, zumal das alles ganz schnell fürchterlich kompliziert wird. Denn diese Geschichte endet eben nicht dort, wo ein Feind besiegt ist - die Hauptfiguren müssen ihr Leben weiterführen.
Kein Gut gegen Böse
Und zudem: Napoleon schafft zwar den größten kriegerischen Konflikt der Zeit, kann aber kaum als böse bezeichnet werden. Und auch die beiden Protagonisten sind keine Helden. Jonathan Strange ist vor allem gelangweilt. Er will etwas für sein Land tun, ist dabei aber oft unbedacht, ignoriert Konsequenzen und schein oft kein echtes Ziel zu haben. Das macht ihn zu einem byronischen Helden - und als typisch netter Twist trifft er Lord Byron und dient diesem als Inspiration.
Auf der anderen Seite ist Norrell bestenfalls ein widerwilliger und sozial unzulänglicher klassischer Antiheld, der es vorzieht, lieber gar nichts passieren zu lassen. Übervorsichtig versteckt er Zauberbücher vor allen anderen; in der Gesellschaft ist er vollkommen verloren; teils gehässig sieht er sich selbst im Mittelpunkt.
Und an dritter Stelle gibt es die Elfen bzw. einen Elfen, den Gentleman mit dem Haar wie Distelwolle. Dabei sollte man hier eher an die Fae denken als an Elfen im Tolkien-Stil. Der Gentleman ist das, was dem großen Bösen im Roman am nächsten kommt. Doch wie Strange bemerkt: Man kann es ihm nicht vorwerfen, es ist seine Natur. Und der Gentleman scheint tatsächlich zu glauben, den Menschen Gutes zu tun.
Aber was ist der Hauptplot? Ich tue ich mich schwer, einen solchen festzuhalten. Vielmehr kreuzen sich die Pfade verschiedener Personen und beeinflussen einander, wobei die beiden Titelcharaktere natürlich besonders im Zentrum stehen.
Normales Leben: Englische Gesellschaft
Aber da gibt es ja noch die Prophezeiung des Rabenkönigs. Natürlich erwartet die englische Gesellschaft, dass Strange und Norrell sie erfüllen. Wie könnte es auch anders sein, sind sie doch die einzigen praktizierenden Zauberer. Auch arbeiten die beiden auf ihre Erfüllung hin, aber weniger um sie zu erfüllen, sondern weil die Wiederbelebung der Magie ohnehin ihr Plan ist.
Typisch für die Zeit Austens und diese Romane: Auch die Gesellschaft hat Erwartungen und beide Zauberer machen sowohl der Politik als auch der High Society oder General Wellington bisweilen Sorgen und die Reaktion auf Magie ist nicht immer positiv. Das können Strange und Norrell nicht ignorieren und Manier eines High Fantasy Helden einfach bestimmen. Ihre Geschicke sind viel stärker mit den Erwartungen anderer Menschen verflochten. Ebenso ungewöhnlich: Strange heiratet relativ früh und nimmt seine Frau mit nach London. Ungewöhnlich für Fantasy, nicht aber für einen Roman im Regency-England.
Strange runzelte die Stirn. Die Frage schien ihm zu missfallen. "Ich nehme an, dass ein Zauberer es könnte", räumte er ein, "aber ein Gentleman würde so etwas nie tun."
Auch als Strange schließlich in den Krieg zieht, bleibt sein Gentleman-Ideal erhalten. Er erschafft Trugbilder und sorgt für allerlei Chaos ohne sich groß darüber zu sorgen. Aber auch hier bleibt er seinen Vorstellungen davon treu, was einen Gentleman ausmacht.
Langsamer Roman mit offenem Ende
Dieser Roman setzt nie auf Action und ist eher gemächlich. Dabei ist er zwar nie spannend wie ein Actionfilm, aber auch nicht langweilig, eher bedacht und überlegend in den Handlungen der Figuren. Es ist eine andere Art Roman, der auch nicht mit einem abschließenden und alles aufklärenden Finale. Es wurde einmal gesagt, Komödie und Tragödie unterscheidet, wann eine Geschichte zu Ende erzählt ist. Eine typische Fantasy-Geschichte endet, wenn der Feind besiegt ist. Aber das echte Leben geht weiter. Von dem bösen Erwachen nach dem Happy End erzählen inzwischen auch genug Romane.
Jonathan Strange & Mr. Norrell endet, aber ich mag es keinen Abschluss nennen. Es geht weiter, die nächsten Schritte der Figuren sind vorgezeichnet. Aber ist die Prophezeiung durch Strange und Norrell vollendet? Was passiert als Nächstes? Welche der anderen Figuren spielt noch eine Rolle? Die Antworten muss man sich selbst geben - denn ein Sequel gibt es auch 2018, 14 Jahre nach Erscheinen nicht, auch wenn es möglich wäre. Vielleicht ist es aber besser so, denn wie ich sagte: Das echte Leben geht weiter und dieses Nicht-Ende passt gut zu diesem Roman.
Fazit: Als ich Strange & Norrell gelesen habe, war das Buch 14 Jahre auf dem deutschen Markt. Mann, habe ich etwas verpasst! Wer mit langsam erzählten Geschichten kein Problem hat, keine Superhelden oder überhaupt Helden braucht und zudem noch Spaß daran hat, wenn mit der Geschichte und historischen Tatsachen gespielt wird: Zugreifen!
Geheimtipp für alle, die Englisch ausreichend beherrschen: Die Neuauflage als Bloomsbury Modern Classic.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
Diese Rezension wurde zuletzt geändert am und ursprünglich veröffentlicht am .
Zitat(e) aus dem Buch
- "Kann ein Zauberer einen Menschen durch Zauberei töten?", fragte Lord Wellington Strange. Strange runzelte die Stirn. Die Frage schien ihm zu missfallen. "Ich nehme an, dass ein Zauberer es könnte", räumte er ein, "aber ein Gentleman würde so etwas nie tun"
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