Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow
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Kurz & Knapp
- Viel Exposition
- Wie mittelmäßige Harry-Potter Fanfiction
- Interessante Ansätze mit realistischerem Hogwarts
Simon Snow ist der größte und mächtigste Zauberer der Welt. Und eine einzige Katastrophe: Ungeschickt, tollpatschig und nicht in der Lage auch nur einfachste Zauber zu beherrschen. Dass er noch am Leben ist, verdankt er wohl auch seiner Freundin Agatha und Kumpel Penelope - und die Notwendigkeit, sich stets vor seinem Zimmergenossen Baz' in acht zu nehmen. Gemeinsam könnte es jedoch klappen, nicht nur die Welt vor dem magiefressenden heimtückischen Schatten zu retten, sondern auch den Mörder von Baz' Mutter zu entlarven.
Das Buch erhält 5-6 von 10 Punkten.
Aufstieg und Fall des außergewöhnlichen Simon Snow wurde ziemlich gehypt, stand mehrere Wochen als Nummer 1 auf der Bestenliste der New York Times. Dem Hype kann ich mich nicht anschließen: Die Handlung erstickt zunächst an Exposition und wirkt in Teilen wie eine mittelmäßige Harry Potter-Fanfiction.
Mundanes Hogwarts
Ich zähle einfach mal ein paar markante Punkte auf, die der Roman gleich zu Beginn ausbreitet:
- Eine Magierschule für England;
- Ein magischer Kessel, der in Zimmer sortiert;
- Ein Auserwählter, der in den Sommerferien aus der Welt der Zauberer fort muss;
- Ein großes Böses, das irgendwie mit dem Auserwählten verknüpft ist;
- Alte Magierhäuser, die gegen den Direktor der Schule sind.
Erinnert das Harry Potter? Sollte es, denn auch im Weiteren gibt es viele Ähnlichkeiten: eine Ziegenhirtin statt des Halbriesen Hagrid, stinknormales Fußball statt Quidditch usw.
Insgesamt wirkt die Privatschule Watford in deutlich besser in die Welt integriert als Harry Potters Hogwarts. Die Magier in der Welt von Simon Snow leben nicht vollkommen getrennt von den Muggeln, sondern nutzen auch nichtmagische Technologie. Das ist realistischer, hatte man bei den Potter-Magiern doch manchmal das Gefühl, sie könnten nicht einmal einen unmagischen Regenschirm aufspannen. Allerdings nimmt es auch vom Zauber und vom Fremden. Das wird dadurch verstärkt, dass mich der Beginn des Romans in Exposition erstickt. Selbst das Wiedererkennen Hogwarts' machte mir so kaum Spaß.
Und doch anders als Rowling
Die Vergleiche mit den Romanen von J. K. Rowling drängen sich auf. Rainbow Rowell erzählt aber durchaus eine andere Geschichte, die sich auch ganz anders anfühlt. Das beginnt bei der Erzählstruktur: Kapitelweise wechseln sich Simon und andere Figuren mit ihrer Sicht ab. Hier kommen nicht nur Simons Freunde zu Wort (die durchaus unterschiedliche Perspektiven haben), sondern auch Figuren, die der Leser nicht kennt und deren Rolle er nur erahnen kann.
Ein weiterer Unterschied ist der Protagonist. Simon ist der mächtigste Zauberer der Welt - kann seine Magie aber überhaupt nicht kontrollieren. Er zeigt Mut, aber auf eine ziemlich resignierte Weise: Er ist fest überzeugt, den heimtückischen Schatten zu besiegen - aber dabei selbst früher oder später draufzugehen.
Harry Potter wurde von Dumbledore immer unterstützt. Dessen Rolle und Methoden wurden erst in den letzten Bänden zweifelhaft. Sein Äquivalent, der Magier, ist von Beginn an suspekt und nutzt Methoden, die an einen Polizeistaat erinnern. Der alte Magieradel, der ihn absetzen will, ist zwar ein dankbares, naheliegendes und gewohntes Feindbild, hat bei näherer Überlegung aber eigentlich nichts Böses getan.
Und dann ist da noch der Mord, der Simon und Co vor allem anderen beschäftigt. Wobei ihn das eigentlich nichts angeht, wie seine Freundinnen skeptisch bemerken: Es geht um den Mord an Baz' Mutter und Simon wurde überhaupt nur involviert, weil sein Zimmergenosse unauffindbar war. Sein Zimmergenosse der Vampir (auch wenn das keiner außer Simon glaubt), der mehrfach versucht hat, ihn umzubringen. Und das soll keine Falle sein? In dieser skurrilen Konstellation und steter Kabbelei kommt es durchaus zu humorvollen Dialogen.
Fanfiction?
Simon Snow viele Zutaten, die ich normalerweise sehr gerne mag: einen realistischeren Twist als normale Fantasy, die Verarbeitung einer bekannten Vorlage ... Das fällt unter das Stichwort Intertextualität.
Man kann aber auch ein anderes Word benutzen: Fanfiction. Diese Bezeichnung hat einen deutlich negativen Beigeschmack. Im Netz kann jeder schreiben, was er will, ohne Qualitätskontrolle. Und die meiste Fanfiction ist ungenießbar. So schlimm ist Simon Snow nicht; das Urteil "mittelmäßige Fanfiction" zu Harry Potter kam mir aber durchaus.
Das gilt auch deshalb, weil Simon Snow tatsächlich in Fanfiction entstand: In Rainbow Rowells vorigen Roman Fangirl (den ich nicht gelesen habe) flüchtete sich die Hauptfigur aus der Realität, indem sie Fanfiction über Simon schrieb, der dort die Hauptfigur einer fiktionalen Romanreihe war. Hier wird Simon nun zur "echten Romanfigur" - für mich leider nur nicht gelungen.
Wenig Handlung; Enthüllung schon zu Beginn klar
Neue Geschichten gibt es kaum; gerade für Vielleser liegt der Wert oft in einer neuen Art, eine bekannte Geschichte zu erzählen. Spannend darf es dennoch sein und diese Spannung kommt mitunter dadurch, zwar zu wissen, in welche Richtung es läuft, aber Details nicht zu kennen. Hier versagt der Roman für mich. Der Beginn zieht sich; danach wird es besser, aber es passiert zu wenig. Trotz Exposition bleibt die Welt erstaunlich vage. Die Hauptfiguren klappern einige Wesen ab, sammeln Informationen und dann kommt es zur großen Enthüllung.
Dumm nur, dass ich diese "Enthüllung" nach wenigen Seiten vorhergesehen habe. Man durchdenke einmal Folgendes:
- Simon ist der mächtigste Zauberer der Welt. Er verfügt über unglaubliche Mengen an Magie, kann sie jedoch nicht dosieren und kontrollieren.
- Eine Bedrohung, der heimtückischen Schatten taucht auf, sieht aus wie Simon und hinterlässt Löcher, wo einst Magie war.
Hier zu viel Magie; dort gar keine mehr. Muss ich das deutlicher darstellen? Auch die Rolle des Magiers erahnte ich nach wenigen Seiten, so dass ich später nur mit den Schultern zucken konnte.
Feindschaft, Freundschaft, Liebe
Detektivische Suche nach einem Mörder, der Kampf gegen ein Magisches Böse - das könnte für Action und Tempo sorgen. Allerdings nimmt das problematische Verhältnis von Simon, seiner Ex-Freundin Agatha und Baz einen Großteil des Romans ein. Denn Baz ist heimlich schwul und hoffnungslos in Simon verliebt.
Ein Jugendroman mit Homosexuellen? Ja, aber er bleibt ebenso unerotisch wie dieser Handlungsteil unmagisch ist. Auch Romantik kommt kaum auf: Die Figuren trauen sich nicht, die Wahrheit zu sagen oder einen ersten Schritt zu machen. Ihr Bangen, Hoffen, Zweifeln ist realistischer als Liebe auf den ersten Blick und Alles-Wird-Gut-Romanzen. Zusammen mit Probleme des Familienerhalts (mitsamt möglichst großer magischer Kraft), Adelslinien und Fragen von Klasse passt dies in das eher realistische als abgeschottete Bild der Zaubererwelt. Gleichzeitigt sorgt es aber auch dafür, dass die Handlung nie richtig in Fahrt kommt. Verstärkend kommt hinzu, dass ich mit dieser Lovestory nichts anfangen kann. Zynisch ausgedrückt: Fanfiction mit schwulem Draco und Harry, ach wie toll! Nicht.
Fazit: Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow war für mich der erste große Reinfall eines Toptitels seit langem. Vielleicht kann er besser gefallen, wenn man Fangirl kennt. Ich indes weiß nicht, wem ich dieses Buch empfehlen soll.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
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