Die Magie der Namen
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Nummer 19 träumt davon, als Erwachsener ein Held und ein bedeutender Name zu sein. Doch das entscheidet sich erst am Tag der Namensgebung. Dann nämlich werden die wahren Namen erkannt. Doch als es soweit ist, werden seine Hoffnungen zerschlagen: Tirasan Passario soll er sein. Doch wer ist das? Kein Krieger, kein Magier - überhaupt niemand scheint ihn zu kennen. Gemeinsam mit einigen anderen neuen Namensträgern - Freunde kann man sie eher nicht nennen - macht Tirasan sich auf, seinen Namen im großen Namensarchiv nachzuschlagen. Doch die Reise ist gefährlicher als gedacht: Im Wald lauern Namenlose und für irgendjemanden scheint Tirasan wichtig genug, um ihn zu töten, bevor er irgendetwas über sich erfährt.
Das Buch erhält 8 von 10 Punkten.
Ich bin Magier-Fan, habe Linguistik (und Literatur) studiert, mag Wortspiele und spiele gerne mit Namen und Bedeutungen herum. Wie konnte ich einem Titel wie Die Magie der Namen also widerstehen? Genau: gar nicht, zumal Namen und Namensmagie nicht erst seit Rhapsody oder Kvothe prominent in der Fantasy sind. Nicole Gozdek geht hingegen in ihrem Roman einen unüblichen Weg: In ihrer Welt werden Namen nicht verdient, sondern bestimmen das Schicksal und die Eigenschaften einer Person.
Kleine Nummern und Große Namen
In unserer Welt bekommt man seinen Namen bei der Geburt; oft steht er schon vorher fest. In der Welt von Nummer 19 ist das anders. Denn der 16-jährige Ich-Erzähler ist noch eine Nummer und hat keinen Namen. Den bekommt er erst am Tag der Namensgebung, an dem die Schulzeit endet.
Namen sind Magie: Nicht die Taten und das Können sind es, durch die eine Nummer sich einen Namen verdient. Vielmehr erkennt ein Ellutor den wahren Namen und mit ihm kommen die Talente: Ein Polliander wächst und wird zu einem Krieger, einem Jurto schwellen die Muskeln und er wird ein kräftiger Schmied; eine Wabloo wird in eine Aura gehüllt zur Magierin. Dieser Name legt zugleich die Rolle fest, die man in der Gesellschaft ausfüllt.
Natürlich hat auch Nummer 19 Träume: Ein Krieger möchte er sein - ein Polliander am liebsten, denn diese sind überall geschätzt. Aber seine Namensgebung verläuft ganz anders als erwartet, denn den Namen, den er erhält, kennt niemand.
Wer bin ich?
Initiationsgeschichten zählen zu den häufigsten Geschichten überhaupt. In Ihnen zieht oft ein Jüngling aus, leistet etwas und verdient sich so seinen Namen und seinen Platz in der Gesellschaft. Durch seine Taten und Entscheidungen erfährt der junge Mensch, wer er ist. In Tirasans Welt ist dies anders: Sobald ihm sein Name offenbart wird, verändert er sich und füllt die Rolle dieses Namens und weist ihm den richtigen Platz zu.
Entsprechend desolat fühlt sich Tirasan: Niemand kennt ihn. Er hat keinen Platz, keine Aufgabe. In der Schule war er eine unbedeutende Nummer, aber zumindest etwas. Aber Tirasan Passario? Den kennt niemand; der ist niemand.
Es bleibt ihm nur eine Lösung: Er muss nach Himmelstor reisen und im Namensarchiv erfahren, wer er ist und was sein Name bedeutet. Dorthin verschlägt es jeden neuen (bzw. alten) Namen, denn mit der Namensgebung übernimmt der Name auch das Vermögen und die Verbindlichkeiten seiner früheren Leben.
Ohne zu wissen, wer er ist und ohne andere Menschen mit seinem Dynastie-Namen muss Tirasan also seinen Platz finden. Dabei entdeckt er mit dem Leser, dass die Welt nicht so ideal ist, wie er es sich vorgestellt hat. Nicole Gozdek nutzt dazu einen angenehmen, geradlinigen Stil ohne Schnörkel. Auf die Darstellung einer kompletten Welt verzichtet sie und von den Hintergründen der Gesellschaft und der Namen erfährt man nur stückweise mehr. Dies hielt mein Interesse hoch - und mich persönlich lockte das Geheimnis um die Namen und ihre Magie schon von Beginn.
Freunde und Feinde
Vor diesem geschieht jedoch einiges: Tirasan reist schließlich gemeinsam mit einigen alten Schulkameraden - was auf mehreren Seiten zunächst recht widerwillig geschieht. Doch bald stellt sich heraus, dass auch auf der Schule nicht alles so war, wie die ehemalige Nummer 19 es wahrnahm. Es entwickelt sich Freundschaft - auch ohne dass er "Jemand" ist und sogar zu Großen Namen. Außerdem erfährt er, dass er schon als Nummer ein Talent hatte: die Wahrheit zu sehen, Lügen und Übertreibungen zu durchschauen - und dies direkt zu äußern. Das ihm nicht nur Freunde gemacht.
Aber Tirasan Passario gewinnt nicht nur Freunde, sondern hat anscheinend alte Feinde. Lauern die Namenlosen einfach jedem auf, hat jemand doch ein hohes Kopfgeld ausgesetzt. Nicht auf den gerissenen Händler, die Magierin oder den Krieger - nein, auf Tirasan Passario von dem erst kurz zuvor behauptet wurde, der Name sei nur ausgedacht. Offensichtlich hat Tir mächtige Feinde - und muss schnell mehr über sich und sie erfahren. Denn wie sonst sollte er sich gegen sie wehren?
Namensmagie & Dystopie
Neben der Reise steht natürlich die Namensmagie im Mittelpunkt, die alles in dieser Welt bestimmt. Namen sind wichtig. In Romanen drücken sie oft Eigenheiten der Figuren aus - Sprechende Namen. In der Fantasy gilt es noch mehr als in anderen Gattungen. Namen haben hier ganz reale Macht: Der Name eines Dämons bannt und bindet ihn; Drachen und Fae sollte man seinen Namen nie nennen; Rumpelstilzchen riss sich entzwei, als die Müllerstochter seinen Namen erfuhr.
Sogar in unserer Welt gilt dies in gewissem Maße. Wir machen uns Dinge durch Bezeichnungen, durch Namen begreiflich. Und durch die Benennung haben wir auch eine gewisse Macht über das Benannte. Denn wir entscheiden, ob wir ein gut klingendes Wort benutzen oder ein schlechtes; harte Laute oder weiche; einen fiesen Namen oder einen netten. Wenn etwas oft genug und von allen wiederholt wird, dann wird es in gewissem Maße auch wahr - eine selbsterfüllende Prophezeiung (oder Benennung). Dies sind "soziale" Effekte - eine Rose ist letztlich immer noch eine Rose, auch mit einem anderen Namen, wie Shakespeare schrieb.
In Die Magie der Namen treibt Nicole Gozdek dies ein Stück weiter. Der Name bezeichnet nicht nur (mittels magischer Verbindung) die Person, der Name macht die Person und ist die Person. Diese Idee finde ich außerordentlich interessant - und wie Nummer 19 wünscht sich so mancher, einfach seinen Platz zugewiesen zu bekommen.
Für andere ist dies hingegen eine Schreckensvorstellung: Du bist der; du kannst niemand anderes sein; dein Platz ist fest vorgegeben. Und tatsächlich trägt die Gesellschaftsstruktur starke dystopische Züge, wie auch Tirasan zunehmend feststellt. Wer den Namen eines Dieners erhält, hat keine Chance etwas zu erreichen; er muss für bitterste Armut noch hart arbeiten. Träume? Sozialer Aufstieg? Gibt es nicht. Du bist der, dessen Namen du trägst, und bleibst es - auch über den Tod hinaus.
Abruptes Ende
Die Magie der Namen hat mich sehr gut unterhalten. In drei Tagen hatte ich diese flotten 368 Seiten verschlungen - und drei Tage hat es nur gedauert, weil mir andere Dinge im Weg standen. Mit dem Ende hingegen mag ich nicht allzu warm werden.
Denn das Ende kommt sehr abrupt: Tirasan erfährt mehr über sich, Ereignisse spitzen sich zu (soweit ja ok für ein Finale) ... und dann Aus! Schluss! Vorbei! Dabei mag ich nicht einmal sagen, dass das Ende unpassend ist. Die ganze Sache schließt ab, wie es einst begonnen hat. Auch der Hintergrund der Namensmagie wird geklärt. Die Schlange Ouroboros beißt sich in den Schwanz; der Kreis ist geschlossen.
Trotzdem wirkte es auf mich mau: "Ach, und, das war's jetzt?" war mein Gedanke. Leider war es das wirklich - und das Ende ist ein definitives Ende. Ich finde es schwer das Gefühl am Ende auszudrücken. Vielleicht so: Durch den Abschluss wirken die Geschichte und die Welt wie ein zufälliger Unfall ohne bleibende Konsequenz. Nicht wirklich unglücklich oder makaber; aber für mich zu plötzlich.
Das bleibt jedoch mein einziger größerer Kritikpunkt: Der Ausklang hätte fließender stattfinden können und etwas bleiben. Denn bis dahin bietet der Roman exzellente Unterhaltung - besonders für alle, die Spaß an Namen haben.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
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