Bärentöter - Der Auserwählte
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Es ist das Jahr 1348. Nach dem Tod seines Vaters erhält der Bauernjunge Wilfried die Chance, etwas Geld für seine Mutter und seine Geschwister zu verdienen. Er kann den Ungarn Zoltan auf einem Viehtreck begleiten. Doch auf dem Weg nach Straubing warten skrupellose Räuber und auch andere Gefahren und Wilfried erfährt, dass er nicht derjenige ist, der er immer zu sein glaubte.
Das Buch erhält 7-8 Punkte.
Einen Bären zu töten - das ist eine wahre Heldentat. Der junge Wilfried im Roman Bärentöter - Der Auserwählte von Roland Pauler wirkt jedoch etwas zu heldenhaft: Den Bären erdolcht er; auch Wölfe und Räuber besiegt er ohne Schwierigkeiten. Vor einem um Authentizität bemühten mittelalterlichen Hintergrund wirkt dies sehr oft wie eine Fantasy-Geschichte oder ein Abenteuerroman und lässt bei mir gemischte Gefühle zurück.
Authentisches Mittelalter: Viele Fakten
Wilfried ist Bauernsohn. Sein Vater ist tot. Seine Mutter und seine Geschwister schlagen sich mehr schlecht als recht durch. Das ist authentisch wie vieles in der Geschichte: Dem einfachen Volk ging es im Mittelalter eher schlecht. In dieser Hinsicht zeichnet Roland Pauler ein realistisches Bild des Mittelalters. Der Adel lebte für sich, die Bauern und das Volk musste sehen, wie es zurande kam.
Auch streut Roland Pauler viele Fakten über das Leben im Jahr 1348 ein: die Pest in Italien, die Sicht des Adels mit von Gott vorherbestimmten Plätzen, die Not der Einzelnen, die Rolle der Kirche, die allzu gern auch etwas für sich abzwackte, die Gefahren bei einem Viehtrieb.
Manchmal schießt der Autor übers Ziel hinaus: Die Figuren schienen weniger miteinander zu reden als den Leser mit Darstellungen und Fakten zu versorgen. Das ist einerseits gut: Als "Abenteuer-Geschichtsbuch" bringt Bärentöter - Der Auserwählte jungen Lesern viele Facetten des echten Mittelalters näher. Allerdings wird vieles nur angeschnitten. Ich habe das Gefühl, dass einige Begriffe und Gegebenheiten vor allem weitere Fragen aufwerfen. Außerdem hat der Protagonist alles schon einmal gehört und weiß zu allem etwas zu sagen.
Unglaubwürdig: Der Über-Held
Wilfried verdient wie kaum ein anderer nicht nur die Bezeichnung Protagonist, sondern Held: Mit seiner Schleuder schießt er einen Fisch aus dem Wasser, besiegt mehrere Wölfe gleichzeitig und erdolcht kurz darauf einen Bären. Und das ohne jegliche Kriegerausbildung. Unglaublich!
Ja, unglaublich. Und leider auch absolut unglaubwürdig. Einmal mag jemand ja Glück haben; aber Wilfried gelingt einfach zu viel, nämlich alles. Um ihn herum geht es Leuten auch schlecht, einige sterben - aber er ist der strahlende Held, der alles unbeschadet übersteht; egal, was er anpackt. Gerade vor einem realistischen Mittelalter-Hintergrund wirkt dieser Held fantastisch und fehl am Platz. Er erinnert an den prophezeiten Erlöser eines Fantasy-Romans - aber selbst für diesen ginge vieles zu glatt.
Dass er sich schließlich als Grafensohn herausstellt, ist sicher auch vorgekommen. Diese Entdeckung allein könnte für eine Geschichte reichen. Das gilt für viele Ereignisse: So man sie einzeln betrachtet, sind sie nicht allzu abwegig. In der Summe sind sie jedoch unwahrscheinlich. Dadurch machten sie den Roman zu einer seltsamen Mischung aus Historischem Roman und eher fantastischer Abenteuergeschichte.
Moderne Moral im Mittelalter
Einer dieser Punkte: Die Hauptfiguren denken eher modern als mittelalterlich. Wilfried hält nichts vom Luxus seines Vaters und steckt ihn mit seiner Sicht an. Plötzlich wird der dekadente Adelige zum Volksfreund und gibt sein Geld aus um die Armen zu speisen. Hinrichtungen stoßen Wilfried ab. Ebenso die Armut in den Städten, die er ruckzuck ändert. Die Armen werden unterstützt, die Kirche kritisiert. Alles ist sozial gerecht und gut.
Das entspricht im Wesentlichen unserer heutigen Moral. Für mittelalterliche Charaktere wirkte es hingegen unauthentisch. Nachvollziehbar ist ja noch die adelige Witwe, die für ihren verhassten Gatten keine Seelenmessen lesen lassen will. Auch nachvollziehbar ist, dass ein Graf seinen unehelichen Sohn anerkennen will, nachdem seine Ehe kinderlos blieb - immerhin geht es um den Erhalt seiner Linie. Wilfrieds Auftauchen ist für ihn daher eine Gelegenheit und löst ein Problem, das er schon lange hatte. Demgegenüber ist es unglaubwürdig, wie schnell sich seine Einstellung zu Bettlern ändert: Sind sie an einem Tag noch Menschen, denen Gott diese Rolle und ihre Leiden zugedachte, werden sie am nächsten Tag bemitleidet, unterstützt und versorgt.
Dieses Umdenken geschieht mir zu schnell und ist ein zu großer Schritt vom mittelalterlichen gottgegebenem Status hin zur modernen Sicht. In Bärentöter - Der Auserwählte findet er in wenigen Tagen statt. Mehr noch: Es gibt keine Konsequenzen. Der Graf tut eine eventuelle Ächtung durch andere Adelige einfach ab. Genau das wäre aber die Konsequenz für jemanden, der die bestehende gesellschaftliche Ordnung einfach so ignoriert. Freilich endet das Buch, bevor etwas in diese Richtung geschehen kann - aber an Roland Pauler deutet im Nachwort auf weitere Abenteuer Wilfrieds.
Zu viel
Im Grunde ist es auch gut, dass der Adel nicht über den Grafen herzieht. Denn auch so geschieht schon zu viel - sowohl innerhalb der Geschichte als auch dem Helden.
Roland Pauler hätte erzählen können, wie Wilfried einen Bären tötet und vom Grafen als Sohn anerkannt wird, langsam die Stadt mit ihren Bettlern und Zünften kennenlernt. Nicht mehr. Durch weniger Ereignisse hätte die Geschichte für mich überzeugender gewirkt - manches geschieht einfach nicht in wenigen Tagen.
Auch wurde zu viel Verschiedenes in den Roman gesteckt: Wotan und die heidnischen Götter werden zunächst am Rande erwähnt. Das ist in Ordnung. Doch zum Schluss taucht auch noch die Wotansbruderschaft auf, um einen Banditen zu rächen. Wozu? Nur um einen Seher zu zeigen, der (nicht viel anders als der Kirchenpriester) die Leichtgläubigkeit der Menschen ausnutzt? Für das mythische Element, weil Odin und Co gerade wieder aktuell sind?
Schwer zu sagen - und wie bei anderen Elementen wäre auch diese Episode für sich genommen akzeptabel. Wie beim Helden ist es die Summe des Geschehens, durch die ich mich bei der suspension of disbelief schwertue.
Abenteuerroman mit historischen Teilen
Dieses Heldentum, diese Abenteuer, diese Masse an Elementen bestimmen die Geschichte, die Roland Pauler erzählt - zum Guten wie zum Schlechten. Bärentöter - der Auserwählte ist kein Historischer Roman, abgesehen vom Setting. Von Inhalt und Erzählung ist es mehr Abenteuergeschichte, die ihre Zugkraft aus Spannung und Action bezieht, aber mit Glaubwürdigkeit bezahlt.
Dies irritierte mich öfters. Dennoch ist dies kein schlechtes Buch: Junge Leser mit beginnendem Interesse am Mittelalter, für die pure Geschichte oder ein "normaler" Historischer Roman nicht das richtige ist, bekommen hier eine Abenteuergeschichte mit zahlreichen historischen Fakten - und auch den Schattenseiten des Lebens, die andere Romane oft ausblenden.
Übrigens mag es die Konsequenzen für die moderne Moral noch geben: Im Nachwort schreibt der Autor: "In Vorfreude auf den nächsten Band mit Geschichten von Wilfrieds Abenteuern", und das Buch hat einen Doppeltitel.
Diese Einschätzung stimmt letztendlich auch: Wenn man Abenteuer vor einem mittelalterlichen Hintergrund sucht, erlebt man mit Wilfried genau diese.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
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