Schneewittchen und die Kunst des Tötens
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Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel ... Da gab es eine Königin und ein Mädchen mit Haut weiß wie Schnee, Haaren wie Ebenholz - und einer Vorliebe für BDSM. Da gab es einen Jäger, der praktischerweise alles über BDSM wusste. Mühsam vorm heimischen PC erworbene Erfahrung! Da gab es sieben LARP-Zwerge, einen Glassarg, eine fiese Königin und ein Äpfelchen ... Es war einmal, vor nicht ganz so langer Zeit, mitten im Winter in einer Stadt namens Berlin ...
Das Buch erhält 7-8 von 10 Punkten.
Schneewittchen und die Kunst des Tötens erschien in der Reihe Anti-Pop des U-Line-Verlags - was immer genau Anti-Pop auch sein soll. Ich griff aus zwei Gründen zu diesem (Kurz-)Roman: Mir gefiel Luci van Orgs erster Roman; und der Bezug zum Schneewittchen-Märchen. Stellenweise, in der Mitte, musste ich mich zum Weiterlesen zwingen: Die Märchenbezüge, die für mich den Hauptreiz gaben, waren zwar immer da, aber weniger ausgeprägt als ich erwartete. Am Ende zog mich die Skurrilität erneut in Ihren Bann.
Ist dies Märchenfantasy?
Es war einmal mitten im Winter und die Schneeflocken fielen vom Himmel herab. So beginnt Schneewittchen. Und so beginnt auch Luci van Org ihre moderne Schneewittchen-Version. Wobei ... es ist schon eine sehr weit hergeholte Version. Ja: Es gibt ein Schneewittchen, eine böse Königin, einen Jäger und sieben LARP-Zwerge. Und einen Massenmörder als Dreingabe. Mit dem Märchen hat dies bis auf die Namen/Rollen allerdings wenig zu tun.
Stört mich das? Ja und nein. Ja weil ich doch etwas anderes erwartet hatte; etwas, das näher am Mythos war, wie ich es zum Beispiel aus Frau Hölle kannte - dort wurde die Geschichte der Asengötter weitergesponnen, griff die Nordischen Sagen aber im Wort auf. Und Fantasy ist es im Grunde überhaupt nicht. Aber auch nein: Denn trotz einer schwächeren Mitte und einem Thema, das nicht so recht meins ist, zog die Skurrilität mich in ihren Bann.
BDSM-Experten und Massenmörder
Jene sich ziehende Mitte beschäftigt sich stark mit einem Massenmörder, der sich selbst als Künstler sieht. Tragische Vorgeschichte und so weiter. Zuerst wirkt er auch etwas monströs in seiner berechnenden Kaltblütigkeit. Aber das Buch würde dem Rückentext nicht gerecht, wenn nicht alles furchtbar schief gehen würde. Wie kann man sich denn auf den eigenen Tod voller Qualen freuen?!?
Bühne frei für Nina, Tochter einer Koch-Königin und BDSM-Fan. Mit ihr auf der Bühne: Simon Jäger, Mitglied einer WG aus 7 Liverollenspielern (allesamt Zwergen-Spieler natürlich), die Nina aufnahmen, nachdem ihre Mutter sie rauswarf. Simon ist BDSM-Experte. Ehrlich - alles in jahrelanger Arbeit erworben. Vorm heimischen PC.
Das klappt in etwa so gut, wie man es sich vorstellen kann. Ernst nehmen kann man das ziemlich schnell auch nicht mehr, denn statt Hardcore-Bondage gibt es eine Panne nach der anderen. Dies ist kein Erotik-Heftchen, sondern eine Persiflage vieler BDSM-Vorstellungen. Denn letztendlich bleibt alles harmlos und im Vergleich zum normalen Fernsehprogramm sogar nahezu jugendfrei. Ein Äpfelchen spielt auch eine Rolle und so gelangt scheintotes Schneewittchen irgendwann zum Massenmörder.
Von morbide zu skurril-amüsant
Hier könnte es richtig morbide werben. Was heißt könnte - wird es zwischenzeitlich auch. Denn der Mörder ist zwar nicht die einzige Figur, die einen leichten bis mittelschweren Knacks hat, aber die einzige, die wirklich real gefährlich wirkt. Seine Bedrohlichkeit unterscheidet ihn von der restlichen Seltsamkeit.
Aber auch sein Part wandelt sich letztlich ins Skurrile. Denn dieses verdammte Schneewittchen geht dem Künstler beim Schaffen seiner neuesten Todeskunst einfach nur schrecklich auf die Nerven. Zumindest zu Anfang. Irgendwie ist sie ja doch faszinierend. Und eigentlich ja sowieso schon tot. Muss man sie dann noch umbringen?
Man erinnere sich ans Märchen: Stirbt Schneewittchen? Nein. (Zugegeben: Da gibt es auch keinen irren Massenmörder.) Aber vor dem Finale kommt noch einiges zusammen: noch mehr BDSM, von der Polizei vernommene selbstidentifizierte Zwerge, viele Scoville, teurer Wein und die Erkenntnis, dass man auch ganz machtlos sehr mächtig sein kann.
Was das alles heißt? Das kann ich unmöglich hier erklären und würde viel zu viel spoilern. Denn die letzten 40-50 Seiten dieses 140-Seiten-Kurzromans las ich in einem Rutsch, konnte gar nicht anders. Dafür verzeihe ich auch den Mittelteil, bei dem ich etwas augendrehend ins Stocken geriet.
Für wen ist dieses Buch?
Schneewittchen und die Kunst des Tötens wird nicht jedem gefallen. Wer von BDSM nicht einmal in Form von Persiflage hören will, ist hier falsch. Ebenso könnte mancher enttäuscht werden, der sich eine große Nähe zum Schneewittchen-Märchen wünscht. Die Punktwertung ist gerade deshalb ziemlich nutzlos.
Ich finde es schwer, eine Lesergruppe, einen Lesertyp zu benennen, der dieses Buch sicher genießen wird. Freude an skurriler Satire hilft. Hardcore-BDSM darf man ebenso wenig erwarten wie eine echte Neuerzählung von S(ch)neewittchen. Gut könnte sein, wenn man sowohl Märchen mag als auch persiflierte "Perversitäten".
Was für eine Lesertyp ist das? Ich selbst nahm mir das Buch vor allem wegen des Märchenbezugs, weil ich von Luci van Org Skurriles erwartete und weil mir ihr vorheriger Roman gefiel. Aber zu sagen, wem jener gefiel, der wird auch diesen genießen, wäre falsch. Ich gebe zu: Ich stehe auf dem Schlauch. Vielleicht fällt ja Dir eine knackige Definition ein, welcher Lesertyp diesen Roman unbedingt braucht? Dann nichts wie her damit - hinterlasse einfach einen Kommentar!
Es bleibt mein Fazit: Schneewittchen und die Kunst des Tötens war nicht das, was ich erwartet habe, hat wenig Bezug zur Handlung des Märchens und drohte in der Mitte, mich mit allzu morbidem Massenmord zu verlieren. Eine Tempo- und Skurrilitätserhöhung in den letzten zwei Fünfteln riss mich aber vollends mit. 140 Seiten für die Zugfahrt oder zwischendrin - ich brauchte nur von Berlin bis Hannover.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
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