Buch-Cover, Diana Menschig: So finster, so kalt

So finster, so kalt

Genres: Fairytale Fantasy; Phantastik
Verlag: Knaur
Seiten: 380
Erschienen: 04/2014 (Original: 2014)
ISBN: 978-3-426-51493-1
Preis: 8,99 Euro (Softcover)
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Wertung: 5/5 Grimoires; 9/10 Punkte, Sehr gut

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Nach dem Tod ihrer Großmutter kehrt Merle Hänssler in das einsame Haus im Schwarzwald zurück, in dem sie glückliche Kindheitsjahre verbrachte. Dort findet sie ein Dokument, das die Geschichte eines gewissen Johannes erzählt, der im 16. Jahrhundert lebte. Merle tut diese Geschichte um ihn und seine Ziehschwester Greta zunächst ab, doch dann passieren unerklärliche Dinge: Im Dorf verschwinden Kinder und das Haus selbst scheint ein Eigenleben zu haben. Ist an Johannes' Erzählung mehr dran, als es scheint? Und ist das Haus ihrer Großmutter vielleicht tatsächlich das Knusperhaus aus Hänsel und Gretel.

Das Buch erhält 9+ von 10 Punkten.

Ich gestehe: So finster, so kalt lag länger auf meinem Lesestapel. Das hat auch damit zu tun, dass ich die Verbindung zum Hänsel und Gretel-Märchen zunächst gar nicht zog - und das, obwohl ich das Lied durchaus kenne. Einmal begonnen war das Buch jedoch ganz nach meinem Geschmack: eine Reinterpretation eines Märchens auf phantastischer Grundlage - und lange Zeit mit der Frage, was wirklich passierte, wie viel real war und wie viel Halluzination.

Überarbeitete Karrierefrau ...

Merle Hänssler hängt alles zum Hals raus. Schön: Einen wichtigen Fall hat sie bald abgeschlossen, aber ihren Klienten kann sie nicht ausstehen. Und sie ist eindeutig überarbeitet: In letzter Zeit kann sie kaum noch ruhig schlafen. Nacht für Nacht wird Merle von Albträumen geplagt. Dennoch für ihre Karriere als Anwältin sicher nicht schlecht. Dann stirbt auch noch ihre Oma Mago, die seit Ewigkeiten gutmütig als Hexe bezeichnet wird.

Merle macht sich auf in ihre Heimat und stattet dem kleinen Häuschen im Schwarzwald einen Besuch ab. Glückliche, heile Welt ... und nach dem letzten Gerichtstermin gibt es auch endlich Urlaub. Doch schon bei ihrem ersten Besuch findet sie ein altes Manuskript, das anscheinend mit den Märchenforschungen ihrer Oma zu tun hat. Aber dass ihre Hütte das Knusperhaus von Hänsel und Gretel sein soll, ist doch eher verrückt?!

... mit Märchen-Alpträumen

Ob verrückt oder nicht: Die Idee findet den Weg in Merles Albträume. Sie irrt durch den nebeligen Wald, sieht gelbe Wolfsaugen, hört Warnungen ... "Geh nicht in den Wald". Ihre rationale Seite schiebt es auf die Überarbeitung. Es gibt doch so viele ähnliche Schwarzwaldhäuschen! Und die Geschichte, die ein gewisser Hans in dem Manuskript niederschreibt, ist nahezu unglaublich und taugt nur allzu sehr, üble Träume anzuregen.

Und doch: Diese Träume wirken so echt und in ihnen träumt Merle auch von Dingen, die nicht im Manuskript stehen. Allein schon aus Interesse an einer möglichen Familiengeschichte versucht Merle, den Kontakt zu dem Professor aufleben zu lassen, der ihrer Großmutter half. Dieser Professor Rübezahl ist jedoch verstorben. Aber ein Germanist aus Freiburg ist sehr gerne bereit zu helfen - und zufällig gerade in Hamburg.

Märchenhafte Zufälle? Symbolik? Was ist real?

Wie viel Zufall ist zu viel Zufall? Merle schwirrt bald der Kopf und auch am Tag glaubt sie bisweilen, zu halluzinieren. Hals über Kopf landet sie in einer mehr als problematischen Romanze mit dem Märchenforscher. War er wirklich nur zufällig in Hamburg oder nur angeblich? So schnell? So kurzfristig? Hat "Jakob Wolf" vielleicht ganz andere Pläne? Ist er vielleicht ein böser Wolf? Und dann auch noch Jakob wie einer der Grimms? Ein Knusperhäuschen, eine Hexe, Hänsel und Gretel als Vorfahren ... was genau soll Merle eigentlich glauben, als plötzlich auch noch Kinder in ihrer Heimat verschwinden, die immer gern am Haus ihrer Großmutter waren?

Diese Zufälle sind in der Tat viele und als Leser mag man es konstruiert finden. Am Ende steht hinter diesem Text eine Autorin, die alles so geschehen lässt, wie es eben geschieht. Alternativ kann man es aber wie ich halten und die Verarbeitung der Märchen und Märchenmotive genießen, die in einem realen Umfeld zugegeben konstruiert wirken. Denn den Zufall kann man als eine zusätzliche Dimension der Frage betrachten, was real ist, was wirklicher Zufall und was möglicherweise ein Plan, den Merle nicht durchschaut.

Historische Perspektive: Hänsels Manuskript

Sicherheit und greifbare Realität bieten traditionell historische Dokumente. Auch das Manuskript, das Merle in der Hütte ihrer Oma fand, könnte dazu geeignet sein, ist sogar von einem Professor übersetzt. Die Realität dieses Manuskripts ist jedoch eher zweifelhaft: Hans berichtet, wie seine Ziehschwester ihn in den Wald führt, zu einem Mord verleitet und sich als Dämonin entpuppt. Wie sehr kann man einem Mann glauben, der sich selbst für besessen hält und einem Exorzismus aussetzt?

Aber sind das Wahnvorstellungen? Wenn Hänsel wirklich Merles Vorfahre war und diese Geschichte stimmt, wäre das zumindest eine Erklärung für die Träume, die mehr beinhalten als das Manuskript. Aber das erklärt noch nicht, weshalb Merle sich im "Knusperhäuschen" so sicher fühlt - und warum das Haus ein Eigenleben zu haben scheint,

Ist dies ein Märchen?

Das zentrale Märchen dieses Romans ist zweifellos Hänsel und Gretel. Zusätzlich wildert Diana Menschin aber auch in anderen Erzählungen und einige Fragen stellen sich Figuren wie Leser: Ist der Märchenforscher nun ein Guter Wolf oder ein Böser Wolf? Ist Merle dann das Rotkäppchen, auf das er es abgesehen hat? Warum klemmt die Tür des Häuschens für ihn?

Viele klassische Märchen (Jorinde und Joringel, Schneewittchen ...) und Märchenmotive tauchen auf: gute Stiefmütter und böse; verschwundene Kinder, Katzen, die Zahl Drei und natürlich das Knusperhäuschen. Gewürzt wird der Pfefferkuchen, pardon, die Geschichte mit einer kleinen Prise Mythologie.

Zu Beginn könnte die Geschichte Phantastik im engeren Sinne sein. Dabei besteht ein Zweifel, ob das Geschehen übernatürlich oder vollkommen normal und nur falsch interpretiert ist. Jedoch deutet sich mindestens ein übernatürliches Element recht früh an. Dies ein wenig hinauszuzögern, hätte ich interessanter empfunden, ein gewisses Verwirrspiel im Figuren und Motivationen bleibt jedoch.

Stimmung: Finster und kalt

So finster, so kalt ist kein fröhlicher Roman und der Titel fängt die Stimmung gut ein. Die Gattung zu benennen fällt indes schwerer. Es ist kein historischer Roman, auch wenn einzelne Elemente es so klingen lassen. Märchen und einige mystische Elemente rücken das Werk in Richtung Fantasy.

Was geschah wirklich im Knusperhäuschen? schreibt der Verlag auf dem Waschzettel und auf dem Buchrücken - also ein Krimi? Nein, eigentlich nicht, auch wenn ich es zuerst so interpretierte. Es gibt Verwirrungen, viele falsche Fährten, scheinbar als Fälschungen erkannte Spuren, die nach einer 180°-Drehung doch wieder im Spiel sind. Aber ein Krimi, bei dem man logischen Spuren folgen und mitraten kann, ist dies nicht. Auch am Ende erhält vieles keine Antwort. Die (Traum-) Gestalt eines Wolfes macht noch Sinn; aber ein teuflisches Reh? Wie viel Symbolik ist in den Zufällen?

Ohne zu sehr auf einzelne Details einzugehen, bleibt mir zu sagen: So finster, so kalt erhält von mir eine uneingeschränkte Leseempfehlung für alle Fans von ernsthaft neuinterpretierten Märchen. Ach was, machen wir's kürzer: Eine Top-Empfehlung für alle Märchen-Fans.

P. S.: Als nettes Extra gibt es gleich zu Beginn Oma Magos Rezept für finsterkalte Lebkuchenmännchen! :)

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Avatar von nico Rezension von: (Grimoires.de)
Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.

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