Der wundersame Fall des Uhrwerk Mannes
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London 1862. Sir Roger Tichborne war auf See verschollen, doch nun kehrt er zurück um sein Vermögen und seinen Landsitz einzufordern. Aber ist es wirklich Sir Roger oder ein Betrüger? Die Verwandten von "Sir Roger" weigern sich, ihn anzuerkennen. Für das Volk ist er hingegen ein Held, ein Adeliger, der sich wie sie durch harte Arbeit am Leben erhalten musste. Sir Richard Burton und sein Assistent Algernon Swinburne werden beauftragt, den Fall zu untersuchen. Bald stellen sie fest, dass mehr dahinter steckt: der Fluch einer toten Hexe, mystische schwarze Diamanten, Geister und eine rätselhafte Macht im Hintergrund.
Das Buch erhält 8 von 10 Punkten.
Der zweite Roman um Burton and Swinburne entführt den Leser erneut in eine Welt, in der "verbesserte" Wesen und kuriose Dampfmaschinen die Straßen füllen. Mystizismus nimmt einen größeren Platz ein. Das skurrile alternative Viktorianische Zeitalter macht der Autor mit zahlreichen realhistorischen Einflechtungen greifbar.
Titel: Uhrwerkmann nur am Rande
Was hat es auf sich mit dem mysteriösen Uhrwerkmann? Das ist scheinbar das Rätsel des Romans - aber nur wenn man nach dem Titel geht. Denn die Titelfigur taucht zu Beginn auf und verschwindet dann. Im Hintergrund ist sie immer noch ein ungewöhnlicher Butler für die Hauptfigur, aber das war es dann - bis der Uhrwerkmann am Ende noch einmal ein wenig Bedeutung bekommt, die zentrale Erwähnung im Titel aber nicht rechtfertigt.
Mehr Einfluss hat das Setting. Um dies gänzlich nachvollziehen zu können, empfehle ich dringend die Lektüre des ersten Romans, Der mysteriöse Fall des Spring-Heeled Jack. Als kleine Erinnerung: In diesem Roman sprang Edward Oxford durch die Zeit und brachte die Ereignisse, wie sie sein sollten, heftig durcheinander. Rund um den Forscher Burton und den Dichter Swinburne entstand dabei eine skurrile, kuriose Steampunk-Welt in einem alternativen Viktorianischen London. An jeder Ecke trifft man auf Erfindungen, die weit fortschrittlicher sind, als sie es real waren.
Flüssiger Stil, komplexe Handlung mit historischen Ereignissen
Der Stil ist sehr flüssig - und das muss er auch sein, denn die Geschichte an sich ist doch recht komplex. Auf ihre Kosten kommen vor allem Leser, die historische Anspielungen zu schätzen wissen. Jedem Kapitel stellt Mark Hodder "zeitgenössische" Zeitungsartikel, Annoncen und Ähnliches voran, und fängt damit die Atmosphäre im Britischen Empire ein. Es ist eine Atmosphäre des Aufbruchs: Die Wissenschaft schreitet voran und bietet so viele Vorteile.
Und ebenso viele Katastrophen, den kaum eine Entwicklung kommt ohne ein markantes Problem aus. Über diese Probleme übt Mark Hodder dezent Gesellschaftskritik. So wird der Irischen Hungersnot mit einer genetisch modifizierten Pflanze begegnet. Dumm nur, dass diese sich als radikal fleischfressend herausstellt ... Man merkt: Gleichzeitig sind die kuriosen Erfindungen auch eine stete Quelle des Humors. Man denke nur an die Kanarienvögel, die zwar exzellenter Brieftauben-Ersatz sind, aber das Beleidigen einfach nicht sein lassen können.
Apropos Irische Hungersnot: Auch diese ist ein Beispiel für die vielfältigen historischen Anspielungen, die auch im Hintergrund der Geschichte stattfinden. Der Uhrwerkmann ist ein Steampunk-Roman, der die Veränderungen der Geschichte quasi-wissenschaflich begründet, dabei aber immer wieder Ereignisse aus der echten Geschichte aufgreift. Der Leser trifft auf bekannte Philosophen, Politiker, Wissenschaftler, die sich in dieser Welt etwas anders entwickelten und mitunter eine ganz andere Rolle einnehmen: Oscar Wilde, Herbert Spencer, Burton und Swinburne ... Natürlich finden auch große Ereignisse statt - mit einigen phantastischen Änderungen.
Der Fall Tichborne: Adel gegen Volk
Eines dieser markanten Ereignisse ist der für den Roman zentrale Fall Roger Tichborne. Erstaunlich: Trotz der Abwandlungen gibt Mark Hodder die Ereignisse nahezu authentisch wieder.
Realhistorisch spaltete dieser Fall die englische Gesellschaft. Vereinfacht dargestellt: Die oberen Schichten sahen in "Sir Roger" einen Betrüger. Das Volk hingegen sah in ihm einen Helden. Jemanden, der wie sie mit seinen eigenen Händen Geld verdienen musste. Aber natürlich kommt auch hier eine phantastische Erklärung hinzu: Irgendwie kann der Antragsteller den Geist der Menschen beeinflussen, was schließlich zu einer Art "Zombie-Revolution" in London führt - mitsamt Geistern, die die geistig beeinflussten antreiben.
Der Versatz einer phantastischen Geschichte mit realen Ereignissen gefällt mir sehr gut. Jedoch wirkte das große Finale fast wie eine andere Geschichte. Hinter dem Antragsteller steht eine weitere Person, dahinter noch eine und noch eine ... das Prinzip eines Puppenspielers, der selbst nur eine Puppe ist. Die Auseinandersetzung mit dem letzten Puppenspieler führt Richard Burton in die Weltpolitik mit Preußen und Russland als große Rivalen Britanniens.
Erneut spielt die Zeit eine Rolle und andere Mächte nehmen Einfluss auf die natürliche Entwicklung. Für mich war es jedoch mindestens ein Puppenspieler zu viel, zumal diese erst sehr spät deutlich werden.
Steampunk zwischen Wissenschaft und Mystizismus
Dennoch gefällt mir das Setting mit genetisch modifizierten Tieren und verrückten Wissenschaftlern. In diesem Roman wird neben der Technik auch der Geist des Menschen und damit das Mystische betont.
Ein Beispiel? Burton besucht gleich zu Beginn eine Wahrsagerin. Eine Wahrsagerin, die sehr akkurate Prophezeiungen liefert - und zugleich darauf besteht, dass dies gar nicht möglich sein dürfte. Wahrsagerei funktioniert offensichtlich; sie funktioniert aber funktioniert auch nicht oder sollte es zumindest nicht. Dies ist das Jahr 1862 - aber nicht 1862, wie es sein sollte ...
Schwer in den Kopf zu bekommen? Für die Figuren vielleicht, für den Leser nicht ganz so schwer aber auf jeden Fall verdreht. Das soll es ja auch sein. Weiter fortgesetzt wird das mystische Element mit den schwarzen Diamanten, den Chorsteinen oder Naga-Augen und ihrem seltsamen Gesang. Freilich kann man auch sagen, dass sie einfach nicht ausreichend erforscht wurden. Wie dem auch sei: Mir gefällt dieses mystische Element grundsätzlich. Lediglich in der massiven Auswirkung des Aufstandes gewinnt es für mich zu viel Prominenz.
Burtons Vergangenheit
Neben den Geschehnissen erfahren wir auch mehr über Burtons Vergangenheit. Wir erinnern uns: Burton hat eine Afrika-Expedition unternommen, zusammen mit John Hanning Speke, die im Zerwürfnis der beiden endete und die Nil-Quellen nicht entdeckte. Von jener Expedition behielt Burton die Malaria, die ihn nun in starken Schüben quält und die Ereignisse erneut durchleben lässt. Auch erinnert er sich, dass er anscheinend dem verschollenen der drei Naga-Augen nahe war - und dass Speke irgendetwas mit diesen im Sinn hatte.
In der Auseinandersetzung mit dem geistbeeinflussenden "Sir Roger" verfolgt Burton seine Vergangenheit noch stärker: Seine Fehler drohen, ihn in Verzweiflung zu stürzen - doch gerade aus seinen Fehlern, so Burton, kann man lernen und sich weiterentwickeln.
Mit Der wundersame Fall des Uhrwerk Mannes bringt Mark Hodder das Gespann von Forscher und masochistischem Dichter zurück. In die skurril überzeichnete Welt mischt er passend realhistorische Ereignisse. Eine Top-Empfehlung für Steampunk-Fans, die historische Referenzen zu schätzen wissen!
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
Diese Rezension wurde zuletzt geändert am und ursprünglich veröffentlicht am .
Zitat(e) aus dem Buch
- "Nichts im Leben ist sicher, Sir Charles."
- Die Fehler, die wir begehen, verleihen uns den Ansporn, uns zu verändern, uns zu verbessern und uns weiterzuentwickeln.
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