Das jüngste Gericht
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Bei einem Experiment gelangt eine Bibliothekarin von der Rundwelt auf die Scheibenwelt. Leider kann man sie nicht unproblematisch zurückschicken und so sehen sich zunächst Rincewind und der ehemalige Dekan auf der Erde um. Als sie jedoch zurückkehren, liegt einiges im Argen: Omnianische Fundamentalisten zerren die Universität vor Gericht. Sie hätten ein Anrecht auf die Rundwelt, denn ihre Form entspräche ihrem Glauben. Selbstverständlich lässt es sich Lord Vetinari nicht nehmen, selbst den Vorsitz zu führen.
Das Buch erhält 8 von 10 Punkten.
Ausdrückliche Warnung: Nicht wegen der Scheibenwelt-Geschichte kaufen! Wesentlicher Inhalt sind die populärwissenschaftlichen Kapitel
"Die Wissenschaft der Scheibenwelt" ist so eine Sache: Nur wegen der Geschichte sollte man das Buch nicht kaufen. Denn diese ist kurz und blass. Den größeren Raum nehmen die Ausführungen von Jack Cohen und Ian Stewart ein. Ganz gemäß dem Buchrücken bieten sie "die neuesten Erkenntnisse aus Naturwissenschaft und Philosophie aus Sicht der Scheibenweltler". Die Scheibenwelt-Geschichte ist lediglich Aufhänger und Stichwortgeber - wer nur wegen ihr liest, wird unweigerlich enttäuscht.
Menschenbezogene Sichtweise gegen Universumsbezogene Sichtweise
Oben dargelegtes Programm ist sehr weit - ein konkretes Thema wie der "Weltraumlift" oder der "Pan Narrans" der Vorgänger fehlt. Natürlich können Jack und Ian nicht alle neuen Entwicklungen abdecken. Stattdessen bieten sie eine Auswahl neuer Entwicklungen und Gedanken, schlagen dabei immer wieder den Bogen in die Vergangenheit. Maßgeblich und am ehesten ein Thema ist die Unterscheidung zwischen zwei Sichtweisen:
Die eine Sichtweise ist menschenbezogen. Hier steht der Mensch im Mittelpunkt. Die Sonne dreht sich um die Erde. (Das kann man durchaus mathematisch so ausdrücken, ist aber das kompliziertere Modell.) Alles ist darauf bezogen, wie es für den Menschen wirkt und nützlich ist. Dies ist das Modell fundamentalistischer Religionen.
Auf der anderen Seite steht ein universumsbezogenes Modell. In diesem ist der Mensch einfach nur ein Teil. Er sollte nicht im Zentrum stehen. Wenn wir für eine Erde, die sich um die Sonne dreht (statt umgekehrt), deutlich weniger komplizierte mathematische Gleichungssysteme benötigen, dann sind diese zunächst einmal besser. Dies ist das Modell, dem die Wissenschaft folgt.
"Nur eine Theorie"
Denn erneut machen Jack Cohen und Ian Stewart klar: Wissenschaft ist nicht abgeschlossen. Oftmals hört man, X sei nur eine Theorie. Die Evolutionstheorie beispielsweise. Nur eine Theorie! Denn natürlich Räumen die beiden erneut mit einigen grundlegend falschen Ideen über Wissenschaft auf.
Eine "(Wissenschaftliche) Theorie" ist etwas, was einen Zusammenhang derzeit bestmöglich ausdrückt. Sie ist geprüft. Es gäbe mitunter Möglichkeiten, diese anders auszudrücken und so ganz richtig ist manche lang stehende Theorie, ist manches wissenschaftliche "Gesetz" auch nicht. Trotzdem sind es keine "Thesen" (das wissenschaftliche Äquivalent zu "Ich hab da eine Idee, lasst und schauen, ob das stimmt..."). Sie funktionieren besser als alles andere, das wir haben.
Und hier ist der große Unterschied zur Doktrin. Religionen sagen "dies ist so, glaube!" und diskutieren nicht. Eine Entwicklung gibt es nicht. Wissenschaft hingegen will nicht endgültig sein. Fortschritt kommt nicht durch Bestätigung des Bekannten, sondern durch dessen Widerlegung und durch bessere Modelle. Wenn ein System einen Zusammenhang mit weniger Gleichungen ausdrücken kann, als das vorherige, dann ist es besser.
Bildhafte, konkrete Beispiele
Der Position des Verharrens in dem was man "einfach weiß" treten die Autoren entgegen. Dies sind die Positionen von Fundamentalisten und Verschwörungstheoretikern. Jack Cohen und Ian Stewart stellen irrwitzige Theorien dar und kontrastieren sie mit korrekter Wissenschaft. Dabei haben sie den "normalen" Leser im Blick, einen Leser also, der nicht in zig Wissenschaften forscht. Die Beispiele, die Ian und Jack wählen, sind pragmatisch nachvollziehbar und konkret.
Ein Beispiel: die Hohlwelt-Theorie (diesmal keine wissenschaftliche Theorie). Die Argumente für sie lauten in etwa: Alles ist gefälscht, wir leben in einer riesigen Verschwörung, in Wahrheit leben wir auf der Innenseite einer Kugel. Vieles kann man zurechtbiegen, sodass es funktioniert. Aber gegen diese Idee spricht eines, ganz pragmatisch: die Flugpläne aller internationalen Fluggesellschaften. Wenn wir in einer Hohlwelt lebten, würden diese einfach keinen Sinn machen. Selbst mit Verschwörung ist dies schwer zu erklären, denn immerhin wollen diese Gesellschaften ja Profit machen...
Schwache Scheibenwelt-Geschichte
Über die Scheibenwelt-Geschichte habe ich kaum ein Wort verloren. Und ehrlich gesagt ist sie auch kaum einen Absatz wert: Eine wissenschaftliche Bibliothekarin gelangt auf die Scheibenwelt, sieht sich um, nimmt am Gerichtsverfahren um die Rundwelt teil und kehrt zurück. Vorhang. Als durchgehende Kurzgeschichte wäre sie langweilig (und nimmt nur grob geschätzt ein Fünftel des Buches ein).
Sie dient als Aufhänger und Stichwortgeber für die "wissenschaftlichen" Kapitel. Korrekterweise sollte ich sagen: Populärwissenschaftliche Lektüre, denn das ist sie natürlich. In dieser Rolle leistet sie gute Dienste. Terry Pratchetts Co-Autoren (eigentlich eher die Hauptautoren) springen nach jedem Kapitel in unterschiedliche Bereiche und brauchen hierzu eine entsprechende Überleitung.
Eine einfache Lektüre ist "Das Jüngste Gericht" dadurch nicht. Konkrete Beispiele, Humor und ein gelungener, lockerer Ton helfen, den Nicht-Forscher zu erreichen. Auf Formeln und Komplexes wird weitgehend verzichtet. Aber der Text erfordert dennoch eigenes Denken und Nachvollziehen. Im Vergleich mit einigen vorangehenden Bänden der "Wissenschaft der Scheibenwelt"-Reihe las sich dieser einfacher, was auch daran liegt, dass einige Ideen wieder aufgegriffen und wiederholt wurden, was man durchaus kritisch sehen darf. Auch kann man manchmal den Eindruck bekommen, dass die Autoren sich zu sehr auf einen Gegner einschießen und sich dazu mit veränderter Wortwahl wiederholen. Alle über einen Kamm scheren sie trotzdem nicht und ich genoss das Buch (gestreckt über längere Zeit) bis zum Ende.
Mit "Die Gelehrten der Scheibenwelt 4 - Das Jüngste Gericht" legen Terry Pratchett, Ian Stewart und Jack Cohen erneut ein Buch vor, das neue Entwicklungen präsentiert aber auch auf die 3 vorhergehenden Bände zurückgreift. Wer eine tolle Scheibenwelt-Geschichte sucht, der wird jedoch zwangsläufig enttäuscht. Aber für diejenigen, die wegen der Wissenschaft lesen, ist das Buch gelungen.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
Diese Rezension wurde zuletzt geändert am und ursprünglich veröffentlicht am .
Zitat(e) aus dem Buch
- Magie ist Aberglaube, ganz anders als vernünftige Glaubensvorstellungen wie Jungfrauengeburt oder Leben nach dem Tod.
- "...und wie jene Theorie erklärt es eine Menge und war falsch."
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