Der Drachenbeinthron [Hörbuch]
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Als Johann der Priester stirbt, folgt ihm sein Erstgeborener Elias auf den Thron von Osten Ard. Doch dunkle Zeiten brechen an: Eine Dürre folgt, der nächste Sommer will einfach nicht kommen und der neue Hochkönig Elias vernachlässigt sein Volk. Sein Bruder Josua ist verschwunden. Plant er eine Rebellion? Oder hat Elias etwas damit zu tun? Denn die Veränderungen an ihm fallen allen auf. Kann die Macht jemanden wirklich so sehr verändern? Ist Elias dem Einfluss des Priesters Pryrates verfallen oder steckt etwas anderes dahinter?
Dem Küchenjungen Simon gehen diese Angelegenheiten wenig an. Er verrichtet einfache Arbeiten auf dem Hochhorst, dem Köänigssitz. Er tut, was man ihm sagt - oder auch nicht. Als Lehrling des Gelehrten Doktor Morgenes macht er schließlich eine Entdeckung, die alles in Unruhe stürzt. Er muss fliehen - er, der nie zuvor die Stadt verlies, und findet sich in Gesellschaft von Trollen, Wölfen, Kriegern, Rimmersmännern und Wesen wieder, die er nur aus Legenden kannte. Eben diese Legenden scheinen nun über Osten Ard hereinzubrechen. Und es sind keine lichten Legenden...
Das Hörbuch erhält 9 von 10 Punkten.
Ich klinge wie eine ausgeleierte Platte wenn ich erneut die enorme Länge eines Hörbuchs erwähne: 36 Stunden, 28 Minuten ungekürzte Lesung; im MP3-Format kopierfertig für den eigenen MP3-Spieler. Für 20 Euro kann man da wirklich nicht meckern, zumal Andreas Fröhlich wie üblich eine kritikfreie Lesung abliefert. Wer diesen modernen Klassiker der Fantasy noch nicht in die Finger bekam, kann statt zu Papier durchaus zu gepresstem Kunststoff greifen!
Der Einbruch der Magie
"Der Drachenbeinthron" beginnt in einem sehr mundanen Setting: Der Held der Geschichte ist Simon, ein einfacher Küchenjunge. Zwar wird er bald Lehrling des Gelehrten Doktor Morgenes; dieser ist jedoch kein Magier, der stetig Zauber wirkt, sondern "nur" ein Gelehrter. Auch, wenn er etwas über "die Kunst" zu wissen scheint. Drachen und andere exotische Fantasy-Wesen sind verschwunden oder rar. Und der König ist nur ein König - und liegt im Sterben.
Kurz: Man kann diese Welt zunächst mundan-mittelalterlich nennen, wozu auch vielfache Anleihen bei realen Kulturen beitragen. Trotzdem gibt es Magie und eine Lesart der Gesamthandlung ist der (Wieder-) Einbruch des dunklen Magischen in die Welt. Vorrangig kommt es zunächst zu Erbstreitigkeiten der Königssöhne. Noch auf dem Hochhorst kommt es zum ersten heftigen Ausbruch echter Magie, während der Morgenes sein Leben verliert und Simon flieht. Dies ist jedoch nur der Beginn: Unheimliche Dinge geschehen allerorts. Hunen steigen von den Bergen; als Aberglaube abgetane Wesen zeigen sich erneut; das Wetter verändert sich.
Diese Veränderung geschieht jedoch nicht plötzlich und nicht inflationär. Magie konnte immer schon gewirkt werden, aber ihr Preis ließ die Kundigen davon abgehen. Den "Bösen" dient sie nun als Weg zur Macht - wobei auch das Böse komplexer und nicht einförmig ist. Auch das klassische magische Volk, die Elben bzw. die Sithi sind nicht plötzlich da. Im Grunde waren sie nie weg, hielten sich nur verborgen. So trifft Simon zunächst nur auf einen einzigen Sitha. Die Elben bleiben somit ein Mysterium, rar und selten - und kein Volk, das man im letzten heimeligen Heim vorm Gebirge einfach aufsucht. Zwar werden die Sithi später eine größere Rolle einnehmen, aber am Ende des ersten Bandes des "Geheimnis der Großen Schwerter" sind sie ein Mysterium. Die meisten halten sie für längst vergangen oder Legenden; einige wenige halten sie für eine letzte Hoffnung. Und selbstverständlich stolpert der Held der Geschichte immer tiefer in die vergessenen Geheimnisse der Welt hinein.
Viele Personen und Szenen
Ein möglicher Kritikpunkt ist die hohe Zahl an Szenen, Schauplätzen und Figuren. Die Zahl dieser ist zweifellos hoch, beginnend bei verschiedenen Fürsten und endend bei weiteren Figuren. Szenenwechsel zwischen den Hauptfiguren um und anderen kommen später hinzu. Zunächst bleibt die Queste des Küchenjungen jedoch eindeutig im Zentrum. Hinzu kommen einzelne Blicke in die Geschichte des Kontinents, auf das Geschehen andernorts und auf einzelne Schlachten. Ja, die hohe Zahl der Figuren kann am Anfang ein wenig erschlagen, zumal die Verbindung zwischen den Figuren oft nicht direkt ist und sich erst später zeigt. Bei einigen Figuren dauerte es auch länger, bis ich sie zuordnen konnte. Szenensprünge sind bei einem Hörbuch zudem problematischer als bei einem Buch, da sie nicht immer sofort erkennbar sind. Dennoch möchte ich festhalten: All dies hält sich im Rahmen.
Das gelingt einerseits schon Tad Williams: Trotz eines großen Personals hält er die Figuren doch zusammen. Es gibt viele "Checkov's Guns", also Dinge, Personen und Ereignisse, die erwähnt werden, aber nur viel später eine Rolle spielen. Diese Dinge sind jedoch nicht exponiert hervorgehoben, sondern fügen sich gut in die Welt ein. Als natürliche Erwähnungen der Charaktere. Hier zeigt sich auch eine gelungene Überleitung zwischen Szenen: Wundert sich ein Charakter gerade über etwas, so kann ein anderer es in seiner täglichen Routine vollends erklären. Und dass, ohne dass es offensichtlich für den Leser durchgekaut wird.
Aber auch der Sprecher Andreas Fröhlich leistet hier einiges. Es gelingt ihm, jeder Figur eine eigene Stimme zu verpassen. Sofern eine Figur früh spricht, erreicht er hierdurch eine sehr schnelle Zuordnung der Szenen. Ganz wird die Kritik eines zu großen Personals trotzdem nicht entkräftet: Selbst am Ende des ersten Romans tue ich mich mit einigen Figuren schwer. Ein Sumpfmann, beispielsweise, hat noch immer eine höchst vage Verbindung zur Haupthandlung. Allerdings ist auch klar, dass er eine Rolle spielen wird - eine weitere von Checkovs Waffen, die erst in den Folgebänden abgefeuert wird.
Starke Reale Anleihen
Hilfreich ist auch, dass dem großen Personal eine einfach zugängliche Welt gegenübersteht. Simpel ist das falsche Wort - eher das Gegenteil ist der Fall. Tad Williams bedient sich vielfach in der realen Welt, ohne dass seine Anlehnungen einen tieferen Sinn haben oder sich direkt auf Gegebenheiten unserer Welt beziehen. Die vielfältigen Völkerschaften Osten Ards werden dadurch intuitiv verständlich. Die vorherrschende Religion hat beispielsweise starke Züge des (katholisch-päpstlichen) Christentums mit einem Schuss nordischer Mythen. Der Märtyrer dieser Kirche, Usires Ädon, wurde kopfüber an einen Baum genagelt. In diesem und anderen erinnert er an Christus; gleichzeitig aber auch an Odin, der sich selbst an der Weltesche aufhängte und sich selbst opferte. Weitere Fragmente nordischen Glaubens finden sich bei den Rimmersgarden, dem Wikinger-Pendant Osten Ards. Doch wie bei den echten Wikingern ist dieser Glaube inzwischen verdrängt - und Tad Williams belässt es bei diesen Anleihen. Weder geht er mit den Religionen oder Völkern ins Detail noch arbeitet er Realhistorik auf. Es sind Anleihen, keine Verweise.
Anleihen finden sich auch bei anderen Völkern: Die Thrithinge sind an osteuropäische Steppen- und Reitervölker angelehnt; die Hernystiri sind eine Mischung keltisch-germanischer Völker mitsamt deren Glauben. Nabban, Zentrum des Usires-Glaubens, ist nur wenig ausgestaltet, ähnelt aber einer Mischung aus Rom und Byzanz mit Anklängen der Renaissance. Bei dieser Aufzählung hört man heraus: Osten Ard wird von Menschen beherrscht. Und selbst der sterbende König teilt seinen Namen mit dem legendären Priester Johann.
Ja, es gibt auch andere Völker: Die Sithi sind offensichtlich von Tolkiens Elben beeinflusst und tragen auch einige japanische Anleihen mit sich. Die Qanuc, von vielen als Trolle bezeichnet, ähneln hingegen viel mehr den Inuit (Eskimos) als klassischen Trollen. Weitere Unterirdische sind nur in einem Nebensatz erwähnt und scheinen endgültig fortgezogen.
Auch in der Sprache finden sich Anleihen: Japanische Namen deuten auf eine spätere Rolle; vieles klingt bekannt an und deutet voraus auf spätere Ereignisse. Dabei wirkt Osten Ard nie wie ein Abklatsch unserer Welt, sondern wie ein geschickter Bau aus bekannten Elementen. Manche Anlehnung führt auch zu kuriosen Lesarten. Das Schwert "Hellnagel" verstand ich immer wieder erneut als "Höllen-Nagel", was durchaus nicht unpassend ist. Seinen Namen erhält es jedoch durch einen Nagel im Heft, mit dem Usires an den Baum geschlagen wurde. Und diese Pseudo-Etymologie kam ausschließlich durch die Übersetzung denn im Englischen heißt das Schwert "Bright-Nail" - wörtlich also Hellnagel, aber hell wie das Licht einer Lampe.
Über Bosheit
Eine nicht seltene Kritik an der Fantasy ist, dass Gut und Böse so eindeutig erkennbar sind, wie es real unmöglich ist. Auch hier ist ziemlich schnell klar, wer die Bösen sind. Aber dennoch schimmert bei vielen Figuren auch anderes durch. Es gibt sie, die Menschen (und Sithi), die nur aus Machtgier handeln und dazu zu bösen Mitteln greifen. Es gibt auch Opportunisten, die ihr eigenes Wohlergehen im Sinn haben. Gleichzeitig gibt es aber auch im Grunde gute Menschen, die jenen "Bösen" als alte Freund aus Loyalität die Treue halten. Und selbst bei den Mächtigsten, beim Hochkönig, kann man anderes erkennen als Willen zur Bosheit. Was genau es ist? Verzweiflung? Das Gefühl, so handeln zu müssen? Oder hat Elias längst die Kontrolle verloren - über sich und über sein Königreich? Diese Fragen bleiben offen.
"Der Drachenbeinthron" als Hörbuch ist mit seinen 2188 Minuten eine exzellente Empfehlung. Andreas Fröhlich bereichert die Geschichte zusätzlich, die ein Fantasy-Fan ohnehin als Klassiker auf seiner Leseliste haben sollte. Mit dem gleichen Cover und Preis wie die Neuauflage (2010-2012) der Reihe ist dieses Hörbuch eine erstklassige Empfehlung, bei der man weder bei Qualität noch Preis mehr wünschen kann. Hörbuch-Fans zugreifen; und alle anderen vielleicht einmal ein Hörbuch antesten!
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
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