Fanny in der Hölle 2
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Es sind noch 111 Tage bis zum Weltuntergang. Fanny, dreizehn Jahre alt, befindet sich in einer psychiatrischen Klinik. Gleichzeitig kämpft sie sich durch die Hohlwelt der Hölle im Erdinneren.
Das Buch erhält 3 von 10 Punkten.
"Fanny in der Hölle" reizte mich von der Idee her. Höllenfahrten kennt man und auch Teenager, die mit Dämonen kämpfen, sind nicht neu (z. B. Buffy). Ein 13-jähriges Mädchen ohne Superkräfte findet man hingegen selten in der Hölle. Leider macht der Roman nichts aus dieser Idee und wirkt meist sinn- und zusammenhanglos, mehr wie eine Aneinanderreihung von Szenen als wie eine Erzählung.
Höllenfahrt ohne Sinn: Leere Symbolik
Die Hölle hat unzählige Interpretationen erhalten. Mit am bekanntesten ist wohl die Hölle Dante Alighieris: neun Höllenkreise, in denen die Sünder gemäß ihren Sünden gequält werden. Und oftmals sind sie politische Gegner Dantes. Politik findet sich in "Fanny in der Hölle" nicht, muss es auch gar nicht. Aber diesem Roman mangelt es kritisch an etwas anderem: einer verständlichen Handlung und einer funktionierenden Symbolik.
Hier muss ich ein wenig ausholen. Die Hölle ist ein christliches Konzept und voll von Symbolik. Dämonen stehen meist für etwas Konkretes - man denke an die Todsünden. Oft waren "Dämonen" auch frühere Götter. Bei Dante spiegeln die Qualen der Sünder ihre Verfehlungen im Leben. Und genau dies fehlt bei "Fanny". Es gibt verrückte Monstren. Sie sind oft aus Apokryphen, Bibel oder anderem entlehnt, aber sie tauchen auf und verschwinden, ohne dass man einen Zusammenhang erkennen kann. Es gibt auch Folter und Grausamkeit - aber sie geschehen einfach ohne Sinn. Mann kann einwenden, gerade dies sei Hölle. Aber auf mich wirkte dies nur leer.
Ich könnte hier viele Beispiele aufzählen - genau das tut der Roman. Höllenfürsten tauchen mal auf, jagen Fanny, sind dann verschwunden und tauchen als diabolus ex machina später wieder auf. Eine reichlich seltsame Wirkung haben auch einige gewählte Namen. An Auswahl mangelt es nicht: Satan, Teufel, Asmodeus, Mephisto - wahlweise für das gleiche Wesen oder verschiedene. Aber Wolfgang Bellaire wählt hier z. B. geradezu den unglücklichsten: "Asmodi". Ja, den gibt es (ganz selten), aber in meinen Ohren klingt er entweder niedlich oder wie ein griechischer Genitiv. Er kling unpassend - Asmodeus, Aschmodai u. Ä. wären bessere Alternativen. An anderen Punkten kann man sich auch fragen, ob ein vergleichsweise komplizierter Name wie "Raczkievicz" nötig ist - und ob "di Angelo" ebenfalls symbolisch gelesen werden soll, auch wenn er eigentlich nichts tut.
Eine letzte Kategorie von Symbolik ist einfach Hineingeworfenes: Fischerkönig, Gralsburg, Templer ... und dann Kazamarca, eine Stadt, die von Alexander von Humboldt erwähnt wurde. Vielleicht übersehe ich ja etwas, aber das passt doch nicht?! Und auch die (arthurischen) Ritter haben im Grunde keinen Sinn in der Handlung; das Zeitalter des Wassermanns zum Schluss noch ohne irgendeinen Zusammenhang hineinzuwerfen, passt ebenfalls nicht. Ebenso wenig ist die erwartete Symbolik bei vielen Szenen leer: Drei Tage und Nächte verbringt Fanny in einer Höhle. War da nicht etwas? Neben der besonderen Bedeutung der Drei überhaupt? Ach ja, Mt 12,40 zum Beispiel. Hier sind es jedoch einfach nur drei Tage. Das beißt sich schlicht mit der aus sich selbst heraus symbolhaften Umgebung der Hölle - auch für ein eher junges Publikum. Im Wesentlichen passt einfach nichts so recht zusammen.
Unverständliche Handlung - Wahnsinn?
Verschlimmert wird diese leer wirkende Symbolik dadurch, dass Fanny durch die Geschichte stolpert. Die Szenen sind mehr Szenen als eine verbundene Handlung. Dinge geschehen einfach mit Fanny. Der Roman zeigt viele "höllische" Szenen, liefert aber keine Logik für ihre Verbindung. Das beginnt mit der Frage, warum Fanny überhaupt die innerste Höllenhohlkugel erreichen muss. Dies wie vieles andere ist gesetzt: Es wird erwähnt und damit ist es Fakt und muss so sein. Der Leser kann es jedoch nicht logisch begreifen, erschließen oder nachvollziehen. Fanny muss zur innersten Kugel. Basta. Das macht leider keine gute Geschichte. Die verbindende Handlung ist bestenfalls lose, ein Ziel gibt es nicht. Und um es noch einmal zu betonen: Die Dinge passieren nicht durch Fanny, sie passieren mit ihr. Die "Protagonistin" wirkt nicht wie eine solche, ist kaum aktiv und reagiert meist nur auf das nächste unsteuerbare Ereignis, stolpert von einer Szene in die nächste.
Noch einmal zum jüngeren Publikum: Englischkenntnisse kann man ja annehmen. "Bodydouble" in einem deutschen Text sind aber ein Griff daneben - auch wenn der Roman in New York spielt. Dies ist zugleich die besondere Fähigkeit Fannys: Sie kann physische Abbilder von sich erschaffen. Grundlos, erklärungslos. Oh, und nur drei Mal, wie man aber erst am Ende und nach dem dritten Mal erfährt. Auch an anderer Stelle abseits von Namen geht die Wortwahl mitunter daneben: Ein lebender Höllenstier ist ein Götze? Ein Götze ist für mich etwas anderes. Fanny zum Schluss als "schönes Mädchen" anzureden und zu umschreiben? Ach, so viele Einzelstellen könnte ich fruchtlos aufzählen. Schade drum.
Stattdessen zu einer alternativen Interpretation: Fanny ist tatsächlich wahnsinnig und zu recht im Irrenhaus. Gegen diese Lesart spricht aber einiges, nicht zuletzt das Geschehen in der "echten" Welt. Hier gibt es auch kleinere Handlungen mit weiteren Personen. Vielleicht sind diese im ersten Teil mit mehr Leben gefüllt worden - ich bezweifle es. Denn sie sind einfach auf den Punkt zu bringen: böser Arzt, guter Arzt, gute Krankenschwester. Und in deren realer Welt erlebt diese Welt gerade das Jüngste Gericht. Oder etwas in der Art. Einen direkten Zusammenhang zu Fannys Höllenfahrt konnte aber nicht entdecken.
Besser: Dialoge - bis sie Predigen
Besser wird der Roman, wenn Dialog aufkommt. Das ist jedoch selten. Und zudem setzt der Rest eine überaus niedrige Messlatte: Dieses "besser" ist längst noch nicht "gut". Es könnte es sein: Gerade im Epilog (bzw. im Kapitel "Der Neubeginn") ergibt sich eine zusammenhängende Erzählung. Allerdings ist die Geschichte hier auch gleich zu Ende. Und das vorangehende, ebenfalls sehr kurze, Kapitel zeigt ein zweites Problem: Längerer Dialog tendiert dazu, ins Predigen zu verfallen. Und das nicht in ein oder zwei Zeilen; nein, über mehrere Seiten.
Bei einem Engel mag man das verzeihen, aber selbst die finale Erklärung durch einen solchen bleibt mau, überzeugt nicht, erklärt nicht wirklich. Noch weniger Sinn macht ein predigender Junge in der Hölle. Er könnte Sinn machen, wenn er für den Plot irgendwie von Bedeutung wäre. Aber dieser Junge wird gleich im Anschluss unzeremoniell (und ohne Bedeutung oder Auswirkung) in einer Maschine zerstückelt. Mehr aus unglücklichem Zufall als aus einer aktiven Tat. Am Ende wird er noch einmal namentlich erwähnt und Fanny besinnt sich darauf, jetzt ganz auf Gott zu vertrauen. Pardon, warum jetzt? Ja, auch zuvor hat sie "Gott ist allmächtig und vergebend"-Monologe abgelassen und solchen gelauscht. Aber wirklich gläubig wirkte Fanny nie. Nie wirkte sie wie die Heilige oder Märtyrerin oder Retterin zu der ein Engel sie (keine Überraschung) am Ende erklärt. Ich verstehe es nicht, ich sehe nicht, wie alles zusammenhängen soll. Ansätze für ein übergreifendes Thema gibt es gelegentlich, aber sie werden nie entwickelt sondern versiegen sofort wieder: Glaube vs. Gesetze; Höllenfürsten vs. Chaosmonster (sich selbst vernichtendes Böses - das Gute fehlt); eine echte Aufgabe für Fanny ...
Fanny blieb für mich bis zuletzt nur ein Name, weniger als eine Nebenfigur in einem anderen Roman. Eine Figur, mit der Dinge lediglich passieren. Schade, denn Potenzial sehe ich mit der Idee eines normalen Mädchens in der Hölle immer noch.
Die Idee klang gut. Das Buch ist es nicht.
Die Geschichte endet auf Seite 189; es folgen Leseproben anderer Romane. Als eBook ist der Roman für 3,99 Euro erhältlich.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
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