Das Vierte Siegel
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Um einen Gläubigen zu retten, gab seine Göttin ihm einst die Götterkette. Doch was zusammenbleiben sollte, wurde getrennt: Die Anhänger der Kette gingen schließlich an verschiedene Erben - und damit wurden auch die Eigenschaften der Amulette getrennt: Weisheit ließ Wissen zum Selbstzweck werden. Magie wurde zum Instrument der Macht. Von Stärke blieb nur brutale Kraft. Einzig die Liebe schien zu bestehen ... bis zu einem folgenschweren Tag.
Jahrhunderte später schickt sich der Feldherr Camora mit seinem Hexenmeister Maluch an, die Welt zu erobern. Um die magische Schwarze Quelle zu versiegeln, die Maluch für seine Macht nutzt, müssen die Siegelerben zusammenfinden. Doch einer gilt als tot, und selbst wenn sie ihre Aufgabe erfüllen, sind Camoras Armeen damit noch nicht besiegt.
Das Buch erhält 9 von 10 Punkten.
Liane Sons "Das Vierte Siegel" erscheint nun in Gesamtausgabe als eBook. Darüber bin ich dankbar: 900 Seiten schleppe ich sonst eher ungern mit mir herum. Und langweilig wird der Roman nie, auch wenn man zu Anfang mit recht vielen Namen erschlagen wird. Ist man über den Einstieg hinweg, bietet "Das Vierte Siegel" aber interessante Fantasy, die sowohl eine klassische Queste als auch große Schlachten enthält und trotzdem eigene Akzente setzt. Kritisch anmerken darf man, dass alles ein wenig zu gut ausgeht.
Unwillige Helden: Die Queste der Siegelerben
"Das Vierte Siegel" beginnt wie Standardfantasy: Eine Quelle muss versiegelt werden. Hier finden wir die klassische Heldengruppe auf der Queste. Zusätzlich auch noch die Heere der Schwarzen Horde auf dem Schlachtfeld geschlagen werden - beides für sich würde nicht viel bringen. Wie auch die Helden sind die Heerführer im Umfeld des Adels, was man jedoch gerade bei der Kleingruppe kaum merkt.
Das Paradebeispiel ist hier Rhonan. Der Leser lernt ihn als Säufer kennen, der zu Talermädchen geht. Man könnte Parallelen zu einem gewissen "Frodo" ziehen. Aber Rhonan bricht keineswegs auf, die Quelle zu versiegeln, weil es kein anderer kann. Nein: Er bricht auf, weil es ihm, alles in allem gesehen, das Einfachste ist, um endlich wieder seine Ruhe zu haben. Letzter Abkömmling eines Herrschergeschlechts? Rechtmäßiger Hochkönig? Ach, lasst mich doch in Frieden! Es hilft ihm auch wenig, dass er von allen drei Siegelerben der kompetenteste zu sein scheint. Problemlos schlägt er sich durch die Wildnis und besiegt auch mehrere Feinde gleichzeitig im Kampf. Das führt auch dazu, dass man Rhonan schnell als übermenschlichen Superkrieger abstempelt - was nicht einmal so falsch ist, wie die Geschichte später offenbart. Seine beiden Begleiter könnten hingegen kaum unterschiedlicher sein: Caitlin, eine jammerläppische Priesterin, die stets ihre eigenen Mühen und Leistungen betont und andere ausschimpft, da sie sich nie richtig anstrengen würden ... und dann doch geradezu überraschend selbsteinsichtig sein kann. Gideon hingegen ist ein Gelehrter - der in der Wildnis eigentlich nichts verloren hat, aber von ihrer Mission überzeugt ist und alles tut, was er kann. Nur traut er sich zu Beginn nicht allzu viel selbst zu: das theoretische Wissen hat er, aber eine Pfeilspitze tatsächlich entfernen?
Im Verlauf des Romans verändern sich die Figuren nachvollziehbar - kritisieren kann man, dass sich ziemlich viel in einer verhältnismäßig kurzen erzählten Zeit ändert. Ganz ehrlich? Besser so, als dass es sich zieht und nicht vorwärtsgeht. Auch die Ausgangslage der Hauptfiguren wird durch die Enthüllung ihrer Vergangenheit durchaus verständlich, zumindest bei Rhonan und Caitlin - Gideon bleibt doch recht stoisch und typisch. Aber selbst die jammernde Priesterin konnte ich so lieb gewinnen - andererseits kann ich mir auch gut Leser vorstellen, die mit diesen einfach nicht warm werden. Mir jedenfalls blieben sie in Erinnerung, was bei solchen Standard-Typen eine echte Leistung ist. Dazu tragen auch die Entwicklung und die anderen Figuren bei. Denn das Personal ist groß und kann gerade zu Anfang erschlagen und verwirren. Der vorhandene Glossar hilft bei einem eBook leider noch weniger als sonst und ist ohnehin nur eine Notlösung. (Besser als bei der vorherigen Erscheinung als Einzelbände ist hingegen das neue Cover.)
Den Schreibstil Liane Sons möchte ich nur am Rande erwähnen. Liane Sons schreibt zügig und verliert sich nie - gelegentlich wird der Stil leicht blumig, aber da kennt man noch ganz anderes von "Fantasy-Größen" Der Stil ist aber auch ohnehin nicht die Hauptattraktion des Romans. Das ist die Geschichte. Denn hier gibt es zwar die typische Konstellation mit "prophezeiten" Helden, aber diese wollen gar nicht so recht. Sie lernen, einen Platz für sich zu finden, was auch wegen der nur sacht angedeuteten und nicht detaillierten Vorgeschichte der Hauptpersonen gelungen ist. Hinzu kommt noch eine teilweise Auflösung des eindeutigen Gut-Böse-Schemas, das für Fantasy so typisch ist. Zuvor jedoch noch ein paar Worte zum zweiten Handlungsstrang.
Willige Helden: Die Schlachtfelder
Eigentlich müsste ich von weiteren Handlungssträngen reden. Trotzdem ist die markanteste Teilung jene zwischen den oben genannten und den Heerführern. In den Schlachten begegnet der Leser meist adeligen Protagonisten, die sich in ihrer Situation zurechtfinden - auch wenn sie den Krieg nicht unbedingt wollen. Allen voran sind hier Derea (der recht häufig Blödsinn redet, aber trotzdem ein herausragender Stratege ist) und sein Bruder Canon. Beide sind Ziehsöhne von Fürstin Morwena - und leibliche ungewollte Kinder der Nebelpriesterin Ayala.
Selbst die Königin zieht aufs ihr nicht unbekannte Schlachtfeld. Hier braucht es Heere, keine einzelnen glänzenden Helden. Die Verteidiger gegen Camoras Horden gehen kaum weniger brutal vor als diese. Das Mittel der Stunde heißt Guerillakampf; es gilt, jedes Mittel zu nutzen, die Übermacht zumindest eine Zeit abzuhalten. Dazu muss auch die Bevölkerung in den Krieg, die selbst dann nicht an eine Belagerung glaubt, wenn der Feind vor den Toren steht. Narben, Wunden, entstellte Leichen - diese sieht man. Aber statt detailliert endlose Schreckensszenen zu schildern setzt der Roman auf einzelne Höhepunkte. Heldentaten für verzweifelten Ruhm enden hingegen durchaus in einer wütenden Standpauke. Dies ist kein Krieg der Heldentaten; es ist ein Krieg des Pragmatismus. Die Motivation ist dabei stets die Freiheit vor der Horde - und Derea und Co sind hier insofern im Recht, als dass die Horde von Beginn an negativ belegt wird. Hier zeigt sich eine sehr klare Trennung von gut und böse. Aber gemach: Es wird deutlich komplizierter, und das meine ich im bestmöglichen Sinne.
Die Götterkette: Implizite aber klare Moral
Am Anfang steht die Götterkette. Am liebsten würde ich hier einen halbseitigen Monolog zitieren. Das könnte ich tun, denn er ist auf der dritten Seite und verrät somit nur wenig. Allerdings ist diese Rezension ohnehin schon lang. Kurz gefasst bringt diese Seite das Verhältnis, das Sterbliche und Götter oft haben, auf den Punkt - und dann verschwinden die Götter aus der Geschichte.
Die Kette bleibt. Die Moral der einzelnen Zauberamulette wird im Prolog explizit ausgesprochen, bleibt im Anschluss jedoch implizit im Hintergrund. Die Kette ist ein Ganzes. Getrennt fehlt den einzelnen Stücken etwas, und damit der Welt. Besonders hervorgehoben wird gleich zu Anfang die Liebe - und erst am Ende aufgeklärt. Ich hatte mich zwischenzeitlich gefragt, warum immer nur von drei Siegelerben die Rede ist (und lag mit meiner eigenen Spekulation voll daneben). In der Tat kommt die Liebe so häufig vor, dass ich mich leicht an 1Kor 13,13 erinnert fühlte. Die Götterkette scheint dieses im Geiste zu spiegeln: Was ist Wissen, das nicht genutzt wird; was sind Stärke und Magie ohne Benevolenz? In dieser Hinsicht kann man Liebe auch im weiteren Sinne als Freundschaft lesen, als Menschens- und Lebensfreundlichkeit.
Man kann sie aber auch viel direkter Lesen: Jeder Hauptcharakter endet recht schnell in einer romantischen Paarung. Das wird irgendwann schon vorhersehbar, geht zu schnell und auffallend problemfrei. Aber ich wiederhole: Ich ziehe diese eher unaufdringlichen Entwicklungen nebenbei einem endlosen Schwadronieren jederzeit vor.
Das böse Gute und das gute Böse
Sind die Romanzen sehr geradlinig, so sind die Verhältnisse der "guten" und "bösen" Charaktere wiederum komplizierter. Rhonan ist der letzte Überlebende seiner Familie, scheint aber zu so ziemlich jedem eine nicht unbedingt gute Verbindung zu haben. Morwenas Adoptivsöhne waren ein Gefallen von Priesterkönigin Ayala - was einiges über deren mütterliche Gefühle aussagt und mit der Wärme Morwenas kontrastiert. Auch die jammernde Caitlin ist kein verhätscheltes Lieblingskind. Man merkt bei vielen Figuren, auch den Nebencharakteren, was sie in ihrer Kindheit beeinflusste. Dabei geht Liane Sons selten in die Tiefe und beschränkt sich auf einige markante Merkmale. Hierdurch werden auch die Guten zu Menschen mit Fehlern - bis hin zur Frage, wie gut manche von ihnen überhaupt noch sind.
Das geht auch umgekehrt: Camora und Maluch sind die klarste Form des Bösen des Romans und werden von beginn an als grausam dargestellt. In den wenigen Augenblicken, in denen man sie sieht, handlen sie moralisch falsch. Und dennoch sieht man sie auch ängstlich - oder vollkommen perplex. Über ihren Status als "das Böse" kommen sie jedoch nicht hinaus. Anders Maluchs Ziehtochter Juna: Sie beginnt als sadistisches Biest, beginnt aber, während der Ereignisse Hintergedanken zu bekommen und sich nach ihren eigenen Zielen zu fragen. Auch sind Camora und Maluch schnell nicht mehr die einzige Bedrohung, lediglich die direkteste. Große Heere lassen sich schwer ignorieren. Die Priesterinnen sind subtiler, intriganter; die Inquisition hat seinen eigenen Schrecken; und im Verborgenen gibt es weitere angedeutete Pläne. Apropos Inquisition: Vielleicht sind sie auch gar nicht böse. Etwas an Rhonan beunruhigt den obersten Inquisitor überzeugend. Vielleicht irrt er nur tragisch. Oder irrt er überhaupt ...? Die vielleicht widerlichste Figur tritt hingegen kaum in Aktion. Und dennoch tut und unterlässt sie so viel, was auch deshalb besonders auffällt, da sie traditionellerweise eine starke Helfer-Rolle ausfüllen würde.
In der Summe scheinen die klassischen Gut-Böse-Grenzen der Fantasy im "Vierten Siegel" oft durch, werden aber von Grauschattierungen überlagert, sowohl bei einzelnen "Bösen" als auch bei den "Guten". Die Horde bleibt trotzdem als grausames und zerstörerisches Element gesetzt. Das bedauere ich, aber nur ein wenig, denn die verschiedenen Anstöße machen schon einen exzellenten Roman.
Ausklang statt Finale
Eine Endscheidungsschlacht mit einem strahlenden Sieger passt auch nicht zu einem Roman, der die Gut-Böse-Grenzen auflöst. Das ist meine Meinung. Und es gefällt mir daher, dass Liane Sons keine Endschlacht stattfinden lässt. Das heißt: zumindest nicht am Ende. Zuvor kommt es zu mehreren ganz unterschiedlichen Schlachten und auch eine große Feldschlacht gegen Camora. Aber am Ende des Romans ist diese lange vorbei. (Nur wenige Tage erzählte Zeit - aber doch einige Seiten.)
Der von Liane Sons gewählte Ausklang und Epilog ist gelungen. Er ist nicht unvorhersehbar und ruhig. Er passt zum Roman, fängt auch das Thema der Liebe noch einmal ein und blendet Verluste zwar ab- aber nicht ganz aus. Vor allem aber schaut er in die Zukunft.
Fazit: "Das Vierte Siegel" bietet nach einem etwas mühsamen Einstieg klasse Fantasy, die Pragmatismus statt Prophezeiung und auserwählte Helden setzt und die Gut-Böse-Grenzen der Fantasy an einigen Stellen auflöst.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
Diese Rezension wurde zuletzt geändert am und ursprünglich veröffentlicht am .
Zitat(e) aus dem Buch
- Weißt du, mir ist erst jetzt richtig klargeworden, dass Unsterblichkeit nicht etwa heißt, dass du ewig lebst, sondern eben nur, dass du nicht sterben kannst, und das ist verdammt etwas anderes.
- "Unser Gegner ist so freundlich und schießt zurück. Wenn uns die Pfeile ausgehen, haben wir gewonnen."
- "Ich bin kein Held, ich wähle nur das kleinere Übel. Lass und gehen!"
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