Buch-Cover, Mark Hodder: Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack

Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack

Originaltitel: The strange affair of Spring Heeled Jack [EN]
Serie: Burton und Swinburne (#1)
Übersetzer: Kristina Koblischke
Genre: Steampunk (Gaslight Fantasy)
Seiten: 527
Erschienen: 02/2013 (Original: 2010)
ISBN: 978-3-404-20699-5
Preis: 15,00 Euro (Softcover)
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Sir Richard Francis Burton ist Entdecker, Gelehrter, Schwertkämpfer - und überaus schockiert, als sein langjähriger Rivale John Speke tödlich verletzt wird. Es heitert ihn wenig auf, dass Presse und Gerüchteküche ihm die Schuld geben. Doch andere Sorgen drängen dieses Problem in den Hintergrund: Ein seltsamer Stelzengänger überfällt Burton in einer Gasse, und befiehlt ihm, "das Miststück zu heiraten", ein Konsulat anzunehmen und ihn in Ruhe zu lassen. Burton ist verwirrt, denn den Stelzenmann hat er nie zuvor gesehen. Kurz darauf wird ihm tatsächlich ein Kosulat angeboten. Burton lehnt ab. Stattdessen wird er zum Agenten der Krone, der nicht nur die Umtriebe einiger seltsamer Werwölfe untersuchen sondern auch das Rätsel um den Stelzengänger lösen soll, den legendären "Spring Heeled Jack".

Das Buch erhält 8+ von 10 Punkten.

"For Science!" möchte man beim Blick auf die Romanwelt ausrufen: In Mark Hodders viktorianischem London sind irrwitzige Fortschritte in Eugenik/Genetik und Technologie normal, noch irrwitziger als im üblichen Steampunk. Herausragendes Merkmal ist auch, dass Hodder die Entwicklungen nicht einfach als gegeben hinnimmt sondern ihre Existenz erklärt.

Abstrus, Skurril, Irrwitzig

Soll man "Spring Heeled Jack" in einem Wort beschreiben, fallen einige Adjektive ein: Verrückt, durchgeknallt, abstrus, skurril, irrwitzig.... Steampunk spielt üblicherweise in der viktorianischen Zeit. Nicht in der echten, denn im jeweiligen Roman gab es Erfindungen, die nicht in die "echte" Zeit passen, oft sogar fortschrittlicher als heute oder heutige Technologie effektiv nachahmend - mit Dampf, wie der Name sagt.

"Spring Heeled Jack" übertrifft die Entwicklungen vieler Genre-Kollegen noch. Das ist zwieschneidig: Übertreibt eine Geschichte ein wenig, so kann man sie nicht ernst nehmen. "Spring Heeled Jack" übertreibt es jedoch ganz enorm, was dazu führt, dass man anders liest und es einfach hinnimmt. Dabei ist "Spring Heeled Jack" weder satirischer noch historischer Roman, greift jedoch verschiedene Gattungen bis hin zur Sozialkritik für kurze Augenblicke auf.

Was macht dieses viktorianische London jedoch so irrwitzig? Die Vielzahl an Verrücktheiten. Eugeniker (Genetiker) verändern Lebewesen zum besseren Nutzen: intelligente Botenhunde oder sprechende Nachrichten-Vögel - die bedauerlicherweise die Nachrichten mit Beleidigungen pfeffern. Die Technokraten, die immer größere und bessere Maschinen bauen wollen: die Flugstühle der Polizei sind dabei noch "normal". Nicht zu vergessen sind natürlich die Werwölfe und der Titelgeber, Spring Heeled Jack. Hinzu kommt das "typisch" Viktorianische inklusive gesellschaftlicher Spannungen zwischen Technokraten, Eugenikern und Libertins, die mit den Konventionen brechen und in ihrem eigenen Hedonismus schwelgen. Auch Armut und Schmutz gibt es auf der anderen Seite des Sündenpfuhls London.

Liebe zum Detail: Verarbeitete Realität

Bei all dem recherchiert Mark Hodder sehr detailliert. Begleiter Burtons wird der Dichter Algernon Charles Swinburne, der ein wenig zu sehr dem Masochismus verfallen ist, als ihm gut tut. Auch andere bekannte Personen der Zeit tauchen auf: Charles Darwin, Florence Nightingale, Isambard Kingdom Brunel, Oscar Wilde. Allerdings unterscheiden sich die Figuren mitunter radikal von ihrer realen Vorlage. Einige Entwicklungen gehen stark Richtung Dystopie. Die Szene prägt neben dem Steampunk das dreckige London mitsamt seinen Armenvierteln. Echte, konkrete Orte wie der Cannibal Club und zeitgenössische Interessen wie die Suche nach den Nilquellen machen den Hintergrund authentisch - sofern dieses Wort bei Steampunk zulässig ist.

Besonderen Witz beweist Mark Hodder zudem bei der Schlüsselszene, dem Attentat auf Königin Victoria 1840. Im Gegensatz zur Realgeschichte ist dieses Attentat erfolgreich - und, wie man im zweiten Teil des Buches erfährt, der eigentliche Grund für diese irrwitzige Welt. Auch hier passt Hodders Recherche und trotz aller Unterschiede finden sich viele Gemeinsamkeiten mit unserer Realität. Mark Hodder reichert dies amüsant mit Erklärungen an, wie es zu Dingen kam, die für uns ein historisches Rätsel blieben. Darunter fällt auch Spring Heeled Jack.

Zweiteilung: Logische(?) Erklärung

Die Schlüsselszene begegnet dem Leser gleich mehrfach. Burton stößt nur deshalb auf das Attentat, weil er den Angriff des Stelzengängers der Polizei meldet. Natürlich hat zuletzt alles etwas mit allem zu tun, was jedoch kaum stört. Denn bis zur Auflösung kann man sich kaum denken, wie alles zusammenpassen soll: Folgt Burton im zunächst den Werwölfen, die Schornsteinfeger-Jungen entführen (und gelegentlich von selbst in Flammen aufgehen), so belauscht er im zweiten Teil die eigentlichen Drahtzieher der ganzen Angelegenheit. Allein deren Identität und - wie sagt man dies am besten - "körperliche Gestalt" ist aberwitzig und könnte das Buch stark Richtung "Trash" rücken.

Aber das geschieht nicht. Denn durch die Erzählung eines Schurkens wird das veränderte London für den Leser logisch nachvollziehbar. Ein gewisser Makel ist dabei der Bruch der ersten Erzählung mit dem Wechsel zur Erzählung des Schurken, die jedoch ebenfalls schnell Fahrt aufnimmt. Gut, einige Dinge dürften so nicht wirklich funktionieren, aber es ergibt sich ein überzeugendes Bild, warum sich in dieser Welt alles anders entwickelte, und das durch eine interessante, aktive Geschichte und keine schulmeisterliches Erklären. Wie genau, das ist ohne Spoiler nicht zu sagen, einzig vielleicht dass Mark Hodder auch hier einen Schritt in ein anderes Genre tut, das notorisch für seine Paradoxa ist. Dennoch gelingt ihm eine für seine Welt konsistente Logik.

Stimmungsschwankungen und schwächelndes Ende

Oft wechselt der Roman die Stimmung von einem Augenblick zum nächsten: von wilder Hatz zu Wissenschaft; von Gesellschaftssatire zu purem Wahnsinn; von Genialität zu Verstörung.. Trotz allem Humor ist der Roman jedoch vornehmlich düster. Die Protagonisten sind keine strahlenden Helden. Mit der Titelfigur kann man im Grunde Mitleid haben, trotz allem, was "Jack" getan hat.

Vor dem Ende kommt es zu einer skurrilen Schlacht mit Polizei, Werwölfen, Technokraten, Jack, Burton, einer Krankenschwester.... ach, lassen wir die Aufzählung! Die Skurrilität wurde oft genug erwähnt. Der Ausklang danach wirkt melancholisch. Und unabgeschlossen, ziellos. Das erklärt sich, wenn man feststellt, dass "Spring Heeled Jack" der erste Teil einer Trilogie ist. Der deutsche Verlag verschweigt dies.

Aber auch abgesehen davon empfand ich das Ende als unbefriedigend. Ich brauche kein Hollywood-Ending und der düster-zweifelhafte Ausgang dieses Romans stört mich daher nicht. Aber mir fehlte etwas. Vielleicht ist es jedoch genau dieses Gefühl, das am Ende bleiben soll, dann Burtons letzte Worte beziehen sich nicht nur auf den Londoner Nebel: "Fast scheint es[...] als gebe es meine Welt gar nicht."

Fazit: Eine Empfehlung für Steampunk-Fans, voll mit detaillierter Recherche, interner Logik und skurrilsten Übertreibungen. Eine seltsame Kombination? Ja.

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Avatar von nico Rezension von: (Grimoires.de)
Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.

Diese Rezension wurde zuletzt geändert am und ursprünglich veröffentlicht am .


Leseprobe

Es gibt eine oder mehrere Leseprobe(n) zu diesem Buch:
Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack (extern)

Zitat(e) aus dem Buch

  • Ihm fiel auf, dass die Tiefen Londons den abgelegensten Regionen Afrikas erstaunlich ähnlich waren.
  • "Fast scheint es[...] als gebe es meine Welt gar nicht."

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