Hüter der Worte
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Der junge Autor Tom Schäfer steht unter Stress: Er hat nicht nur einen Roman verkauft, sondern gleich eine ganze Serie! Aber nun hängt er fest: Schreibblockade. Das Glück wendet sich: Eine neue Liebe bringt auch neue Inspiration. Zudem hat Mellie sich anscheinend weit mehr mit seiner Welt beschäftigt, als sie vorgibt. Wie sonst sind ihre diesbezüglichen Notizen zu erklären? Unerklärbar ist jedoch, dass Toms Geschichte schon vor langer Zeit geschrieben worden ist und unveröffentlicht in einem Nachlass lag. Noch unerklärlicher ist es, dass er plötzlich seinem Romanhelden Laryon gegenüber steht.
Das Buch erhält 6 von 10 Punkten.
"Hüter der Worte" ist ein Fantasy-Roman über Worte und Bücher. Die Worte und Bücher überwiegen: metafiktionale und selbstreferentielle Elemente machen den Kern des Romans aus. Leider ist dieser nicht durchgehend gestaltet und wirkt zum Ende sogar unfertig und abgehackt.
Metafiktion: Wortgestalten und Worthüter
Ein Autor, der seinen Romanfiguren begegnet - Traum oder Alptraum? Dass man seiner eignen Roman-Figur gegenübersteht, ist natürlich eine tolle Gelegenheit, immerhin ist man doch ein tolles Team? Wenn man aber wie Tom feststellt, dass Laryon gar nicht davon begeistert ist, dass jemand anscheinend sein Leben vorgibt, dann dreht sich diese Gelegenheit schnell zum Problem. Am Rande touchiert dies natürlich auch das Problem des freuen Willens: Schreibt Tom, was passiert; oder passiert, was er schreibt? Der Roman antwortet hier mit ein wenig von beidem. Eine genaue Erklärung bleibt aus, was zunächst auch nicht stört, denn was folgt ist auch die Geschichte der Entstehung eines Romans.
Das ist Metafiktion, das heißt Fiktion - eine Geschichte über Geschichten und deren Wirkung. Ähnliches ist seit Tintenherz und Thursday Next bekannt, um nur zwei Vertreter zu nennen. Gerade Thursday Next thematisiert Bestandteile der Fiktion, wie Standard-Plots und Figuren, sowie viele bekannte Werke. "Hüter der Worte" geht einen anderen Weg: Zentralist hier das Produktions- und Erzählsystem. Dementsprechend steht Autor Tom im Mittelpunkt - und implizit auch dessen Autorin Diana Menschig, in einer weiter gedachten Hierarchie von "Worthütern" auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann, einerseits aus Gründen der Komplexität (und Länge), andererseits um Spoiler zu vermeiden.
Der Roman ist insofern auch stark selbstreferentiell: das Erzählte und das Verhältnis der Romanwelt zu der Welt des Romans im Roman lässt auch darüber nachdenken, wie sich dies mit dem Verhältnis zwischen unserer empirischen Welt und dem Roman deckt, den man gerade liest. Auffällig ist dabei: der Leser fehlt vollkommen, sofern er nicht selbst Autor ist.
Kleine Fantasy-Welt ohne Epik
Metafiktion ist jedoch nur ein Teil des Romans; der andere ist Fantasy. Hier findet man Bekanntes: Die Insel Willerin ist Standard-Fantasy mit Einzelgängern, einem Krieg in der Vergangenheit, dem Helden Laryon, "Wissensbewahrern" und "Schwarzmagiern" sowie einem Jungen den Laryon zur mysteriösen Halle bringen soll. Die Questen-Struktur ist klar und bei keinem Charakter hatte ich das Gefühl sonderlicher Tiefe - wobei es natürlich den Bogen zwischen Laryon als Held und dem Schreiben bzw. Geschrieben-Werden gibt. Interessant kann dieser Held, der eigentlich gar keine Gefahren erleben will schon sein, insbesondere wenn der Autor eben diese Gefahren für seine Geschichte braucht, aber im Endeffekt bleibt die Metafiktion hier bestimmend. Dem Roman im Roman verbleibt nur eine äußerst vorhersehbare Handlung: Aufgabe bekommen, Probleme, Endkampf, Aufgabe erfüllen - eher schwach.
Nett sind einige Überraschungen: Tom macht die Erfahrung, dass es durchaus Dinge auf Willerin gibt die er (ihr Schöpfer!) nicht weiß. Dies sind die "weißen Flecken", die in Büchern nicht erwähnt werden, über die man hinweg liest, obwohl sie da sein müssen. (Toilettengang? Nur wenn es wichtig ist. Oder in Satire.) Aber auch dies hebt Willerin nicht aus dem typischen Standard heraus. Problematisch ist zudem eine gewisse Verhedderung von Erzählebenen. Unsere empirische Welt lässt sich klar abgrenzen. Dann gibt es jedoch Toms Welt, in der er schreibt; die Welt Willerins, die geschrieben wird aber gleichzeitig schon existiert- Toms Schreiben ist hier ein Bindeglied. Hinzu kommen aber noch "Wortfetzen" von Irgendwo. Diese Erzählebenen sind manchmal schwer auseinander zu halten - und bringen dem Roman auch nichts ein außer zu vielen Perspektiven. Und das ohne Cliffhanger-Effekt. Die Spannung hält sich eher im unteren mittleren Bereich; Action fehlt fast vollständig. Viel mehr problematisiert der Roman - was man auch am zähen Einstieg merkt, der das Buch zunächst auf meinen "Später-Lesen-Stapel" zurückwies. Ist man über die ersten Seiten hinaus, gelangt man jedoch zu einem interessanten und zügigen Mittelteil, der allein wohl 7-8 Punkte bekommen hätte. Aber dann folgt ja noch das Ende.
Unvollständigkeit, abruptes Ende
Und das Ende kann mich nicht überzeugen. Das Problem bahnt sich im Mittelteil an: Willerin wird mit Standard-Fantasy gefüllt. Die Metafiktion hingegen hat Lücken, die sich auch nicht füllen lassen. Einiges scheint nicht zu Ende gedacht, Fragen bleiben offen. Oftmals wirkt die Geschichte gesetzt statt wirklich nachvollziehbar erklärt und die offenen Fragen lassen sich nicht einmal kurz zusammenfassen. Mitunter hatte ich sogar das Gefühl, dass die Autorin selbst nicht so recht wusste, wie Zusammenhänge zu einem logischen, konsequenten Ende führen - vielleicht täusche ich mich da (Vgl. "Toms Blog", Link unten), allein: der Eindruck entstand. Wie geht z.B. ein Schreiberwechsel? Warum sind nur Hauptfiguren Wortgestalten; was ist mit Nebenfiguren? Auch Bezüge zum empirisch Realen lassen sich finden, Analogien brechen aber recht schnell zusammen und lassen mich keine befriedigende Lösung mit einem funktionierenden System finden.
Ab einem gewissen Punkt scheint das Interesse an der metafiktionalen Ebene im Roman zu verschwinden. Willerin kann diese Ebene jedoch nicht ausgleichen. Positiv hervorheben möchte ich noch die Liebesgeschichte. Hier läuft nicht alles gut. Die Hauptfigur ist bisweilen sogar unsympathisch; und auch Mellie ist nicht fehlerlos - für die Beziehung müssen beide arbeiten.
Ein Tiefschlag ist hingegen das Ende. Nach einer Standard-Queste springt Diana Menschig von einem Kapitel zum nächsten direkt in den Endkampf (der als Höhepunkt versagt; ein solcher fehlt dem Roman) und das war es dann. Die Worthüter-Magie wird nie erklärt - vielleicht gut, denn interessant war sie auch nicht. Aber auch andere Fragen bleiben offen und die Antworten, die es gibt, bleiben oft beschränkt. Der Epilog spiegelt dies und wirkt sehr gesetzt, als ob es JETZT ein Ende geben muss. Die letzten Worte sind symptomatisch für diese Plötzlichkeit und das Abhacken: "So war es." So und nicht anders; das ist alles, was es gibt; erwartet keine Erklärungen.
"Hüter der Worte" beginnt mit einer interessanten metafiktionalen Konstruktion und um eine unepische Mainstream-Fantasy. Leider hat der Roman leichte Startprobleme und kann seine Stärke, die Metafiktions-Ebene, nicht bis zum Ende ausspielen. Das ist schade, denn insbesondere der Mittelteil ist unterhaltsam. "Hüter der Worte" ist damit ein Roman für Metafiktion-Fans, die mit Andeutungen, offenen Fragen und nicht zu Ende formulierten Ideen leben können.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
Diese Rezension wurde zuletzt geändert am und ursprünglich veröffentlicht am .
Leseprobe
Es gibt eine oder mehrere Leseprobe(n) zu diesem Buch:Hüter der Worte - Leseprobe (extern)
Hüter der Worte: "Toms Blog" (extern)
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