Grimms Märchen Update 1.2 - Der Wolf und das böse Rotkäppchen
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Die Ähnlichkeit von "Grimms Update 1.2" mit "Grimms Update 1.1" ist nicht zufällig: Beide Bücher sind Anthologien von neugeschriebenen, modernisierten Märchen. Märchen-Updates eben. Beide erschienen im gleichen Verlag. Beide erschienen zur gleichen Zeit. Zwei Bücher sind es sicher weil die Qualität es zulässt, denn diese ist erstklassig. Und eine einzelne Kurzgeschichten-Anthologie mit über 60 Geschichten macht nicht so viel Sinn - zu unhandlich wäre es mit den dann an die 800 Seiten.
Besser als die andere ist keine der beiden Anthologien - beide bieten Geschichten höchster Güte. Einen dezenten Hinweis auf die Unterschiede mag man in den Titeln finden: "Froschkönig ungeküsst" bzw. "Der Wolf und das böse Rotkäppchen". Humor deuten beide an, aber der zweite Titel beinhaltet auch Bosheit. Dieses Mehr an Düsternis und Bosheit macht dann auch den Unterschied zwischen den beiden Anthologien aus, in denen jedoch jede einzelne Geschichte einen eigenen Reiz und Ansatz hat.
Düstere Enden
"Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute." So lautet das wohl bekannteste Märchen-Ende. Realistisch ist das hingegen nicht. Das sind Märchen aber auch nicht: Im Märchen wird eher nicht gestorben. Stattdessen werden die Unglücklichen in Schwäne verwandelt, im Wald ausgesetzt, zur Hausarbeit verdonnert. Zugegeben: die böse Hexe wird in den Backofen geschoben; die böse Königin muss sich zu Tode tanzen. Und man vergesse nicht die unzähligen Jünglinge, die bei einer Aufgabe scheitern bis der Richtige kommt. Märchen vergessen diese jedoch; bei drei Brüdern werden die älteren, erfolglosen am Ende wiederbelebt. Der Tod wird ausgeblendet oder ist nicht endgültig. Das Märchen-Ende ist meist positiv und mit einer Moral versehen.
Im Grimm Update 1.2 ist dies nicht immer so. Nicht immer steht der Tod am Ende. (Denn den Tod kann man sowieso austricksen, indem man das Bett umdreht, wie Märchen-Kenner wissen.) Vom "glücklich und zufrieden" sind einige Geschichten jedoch weit entfernt und andere stellen in Frage, wie glücklich das Ende der Vorlage denn eigentlich ist.
Happy Endings zur Lockerung
Auch wenn ich als Unterschied zum Grimms Märchen Update 1.1 eine größere Düsternis betone ist diese Anthologie nicht nur düster. Ausgezählt gibt es sogar mehr glückliche als unglückliche Enden. Wie im ersten Update kommt auch hier eine gehörige Prise Realität in die Geschichten. Gerade die Nähe zur Realität im Vergleich zu alten Märchen macht einige Geschichten düster. Auch bei glücklichem Ausgang bleibt so manche Hintergrundbedrohung, die in einem realistischen Umfeld stärker wirkt: In einem "irgendwann irgendwo" einer Märchenwelt betrifft uns die Kinder fressende Hexe und ihr Tod im Backofen nicht. Passiert dies hingegen am vergangenen Montag in Hamburg, so trifft dies direkter. Man liest anders und zieht (wenig überraschend) direkter Verbindungen zur Realität.
Anders liest man auch weil viele Autoren nicht auf eine Hexe setzen (um im Beispiel zu bleiben) sondern das alter Märchenpersonal mit modernen realistische Gefahren ersetzen. Hat man gerade eine solche Geschichte gelesen, wirkt eine Love Story a la Promi-Presse wie eine geradezu märchenhaft heile und naive Welt - und damit auch als Kontrast zu den düsteren Geschichten. Andere Geschichten sind hingegen kurios-skurril ("Der verwunschene Fahrkartenautomat"), wobei oftmals die kurzen mit einer besonders starken Pointe wirken.
Sichtbare aber unaufhaltsame Böse
"Der Wolf und das böse Rotkäppchen" - dieser Titel dreht die traditionellen Rollen um und versteckt dies nicht. Auch die Geschichten lassen die Bösen früh und deutlich auftreten: Das Rotkäppchen von Stefan Lochner ist nüchtern betrachtet als nicht harmlos erkennbar - nur ist der Protagonist nicht nüchtern und driftet ins Rotlicht. Erneut macht es Spaß, das bekannte Märchen in moderner Geschichte wieder zu erkennen und die größere Rolle, die von den Bösen gespielt wird, fasziniert besonders. Was ist eine Geschichte schon ohne einen überzeugenden Schurken, ohne einen Konflikt? Meist doch eher langweilig. Aber auch wo die Bösen öfters siegen und mehr Platz in der Handlung bekommen kommt der Humor nicht zu kurz. Der Vergleich zwischen Original und Neuerzählung ist erneut amüsant, hat aber natürlich einen düsteren, schwärzeren Einschlag. Andere, z.B. "Taachebuch vonne Märchenprinzessin", sind auf lustig getrimmt, wobei man beim Vergleich zwischen Original "tatsächlichen" Geschehen auch eine leichte Desillusionierung erfahren kann - selbst ohne einen konkreten Bösewicht.
Kriminalfälle, moderne Probleme
Die Übertragung in die heutige Welt führt zu einigen starken Veränderungen. Dies ist zum Beispiel in der Geschichte von Leo Nordwald ausgeprägt: Ein dezenter Hinweis auf die Grimms fällt früh, Parallelen tauchen auf und der Leser dürfte früher schalten als der Kommissar. Ja richtig: Kommissar, denn "Gebranntes Kind" folgt einer Kriminalermittlung.. Das Märchen ist überzeugend in die Jetztzeit versetzt - und erhält auch einen gewissen Schockwert dadurch, dass es echt genug wirkt.
Auch andere Autoren lassen ein verändertes Personal auftreten: moderne "Meisterdiebe", Attentäter, Geschäftsberater, Menschenhändler, Drogensüchtige; sichtbare moderne Gesellschaftsprobleme. Und auch unsichtbare, wie Depression, die in der Neuerzählung des Totenhemdchens behandelt wird und allzu leidliche wie die moderne Bürokratie. Da gibt es doch einiges im Märchen, was reglementiert werden muss. Haben diese ganzen Jäger denn überhaupt eine Jagdlizenz?!
Anleihen aus moderner Fantasy
Bei manchen Neuerzählungen spürt man den Einfluss der modernen Fantasy. Deutlichsten ist dies in der abschließenden Geschichte, die das Märchen der Sieben Schwäne stark verlängert. Die Charakterisierung der Figuren erreicht nicht die Tiefe eins Romans, geht aber doch über die eines Märchens hinaus. Andere Geschichten lassen das Ursprungsmärchen stärker durchscheinen, wurden aber um Figuren erweitert, die im Fantasy-Mainstream gerade beliebt sind.
Kritisch aufgegriffen wird auch immer wieder das standardisierte Ende der Märchen. Was bringen denn Prinzessinnen, die nur darauf waren, gerettet zu werden? Ist nicht vielleicht ein anderes Ende für einige der Figuren viel erstrebenswerter? Gerade für die weiblichen Figuren wirkt die Emanzipation nach aber auch die Helden kommen mitunter zum Schluss, dass die Hand einer Prinzessin vielleicht doch nicht so großartig ist.
Fazit: Wer zwischen den beiden Grimm-Updates schwankt, der möge einfach beide kaufen. Grimms Update 1.1 und 1.2 bieten beide viel Lesespaß für Märchen-Fans. Das Update 1.2 ist dabei ein wenig dunkler; ein wenig kritischer; ein wenig stärker mit modernen Problemen versehen. Für ein Update 1.3 wird es wohl etwas dauern: Die Messlatte der ersten Updates ist sehr hoch. Aber wenn es kommt, werde ich es sicher lesen.
Inhalt:
- Datt Taachebuch vonne Märchenprinzessin (Stefanie Bergerhoff)
- Rotkäppchen (Stefan Lochner)
- Aschenputtels zweite Schwester(Heidemarie Köhler)
- Goldmarie und Pechmarie (Michaela Illner)
- Allerleirau (Olivia Mittwoch)
- Schneewittchen – die ganze Wahrheit (Katrin Wiegand)
- Schlaf, Dornröschen, schlaf Monika Sick)
- Das WORLD WIDE WEB (Rotraut Mielke)
- Der verwunschene Fahrkartenautomat (Boris Schneider)
- Doktor Tod (Jürgen Dürrbeck)
- Blutdurst (Marion Burkhardt)
- Gestiefelter Kater (Mena Koller)
- Gebranntes Kind (Leo Nordwald)
- Nur Fliegen ist schöner (Silvia Nold)
- Drosselbart (Petra Heinrich-Keldenich)
- Der Meisterdieb oder Trau schau wem (Marlene Geselle)
- Das Tor zum Glück (Martina Sprenger)
- Rapunzulla (Horst Berger)
- Eine Wolfsgeschichte (Kristina Lieschke)
- Ein Fall von Erpressung (Andreas Flögel)
- Von der professoralen Ebene sieht alles anders aus (Xenia D. Cosmann)
- Snowy und Rosi (Petra Heinrich-Keldenich)
- Der Rolf und die sieben Waisen (Christine Farniok)
- Das tapfere Schneiderlein (Dolores Pieschke)
- Schneewittchen und der gestriegelte Kater (Ruth Möbius-Hanssen)
- Dem Fischer sin Fru (Silvia Kriehn)
- Totkäppchen und der Rolf (Regina Schleheck)
- Das Totenhemdchen (Marc Hartkamp)
- Rape‘n‘sell (Anna Willhelmsen)
- Der böse Wolf (Thomas Boley)
- Unglaubliches über Hänsel und Gretel - eine Analyse (Horst Paul Kuhley)
- Leanders Rettung (Wolfgang Erdmann)
- Die Anzeige (Clemens Mentiri)
- Das andere Aschenputtel (Jana Walther)
- Die Schwanendrude oder: Die sechs Schwäne (Melanie Winkel)
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
Diese Rezension wurde zuletzt geändert am und ursprünglich veröffentlicht am .
Diese Rezension bewerteten 2 positiv und 0 negativ. (18326 Leser bisher.)
Deine Meinung
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Lesermeinungen:
Name: steffi | Bewertung: (10) | Datum: 13.03.2015 20:02:51 |
ich vermisse meinen Namen auf der Liste der Autoren. Grüße von der Märchenprinzessin Antwort von Grimoires.de: Hoppla! Der wurde tatsächlich übersehen und natürlich umgehend ergänzt. Sorry! | ||
Name: Stefan Lochner | Bewertung: (10) | Datum: 02.07.2017 16:32:58 |
Hallo,
der Autor heißt Stefan Lochner und nicht Stefan Liesner... (Im Text: Sichtbare aber unaufhaltsame Böse) Grüße, Kommentar Grimoires.de (Nico): Hoppla und Verzeihung! Das habe ich natürlich gleich korrigiert. Danke für die Mitteilung. :) | ||