Der Schwalbenturm
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Schwer verwundet gelangt Ciri, die Prinzessin von Cintra, in die Sümpfe des Pereplut. Dem Tode nahe wird sie von dem Einsiedler Vysogota gepflegt und unterrichtet. Doch ihr ist klar, dass sie nicht bleiben kann: sie muss fort - zu ihrer Bestimmung, die ihr schon vor ihrer Geburt auferlegt wurde: sie muss den mystischen Schwalbenturm erreichen.
Selbst ohne ihre Verwundung wäre das nicht einfach, denn in der Welt herrscht Krieg; ein brutaler, dreckiger Krieg voll Verrat, Tod und Elend, ohne den Glanz der junge Männer so oft einfängt. Der Norden wehrt sich gegen Nilfgaard; und der Kaiser Nilfgaards will Ciri zur Frau. Die Zauberinnen wollen ihre eigene Loge; Rivien und die anderen Königreiche haben eigene Pläne. In diesen Wirren verfolgen der Hexer Geralt und seine Begleiter nach wie vor die Spur Ciris um ihr endlich zu Hilfe zu eilen, doch bei der Auseinandersetzung mit ihren ärgsten Verfolgern wird Geralt sogar sein Hexer-Amulett genommen...
Das Buch erhält 8 von 10 Punkten.
Es lässt sich erneut bereits Beobachtetes wiederholen: Mehr als die Hexer-Saga sind die Romane die Ciri-Saga. Ciri steht hier im Zentrum, wenngleich die bekannten Figuren der Kurzgeschichten immer noch wichtig sind und nicht nur Beiwerk mit Wiedererkennungswert. Verschwunden sind die Anspielungen auf Märchen; verschwunden ist die ironische Brechung mit der Wirklichkeit; verschwunden ist auch weitestgehend die Intertextualität. Dies macht die "Hexer"-Romane gänzlich anders als die Kurzgeschichten. Nach wie vor ist dies eine Fantasy-Welt mit Magie und mystischen Wesen. Reinrassige heroische Fantasy gab es mit dem Hexer Geralt nie, doch die Romane driften entschieden in die Richtung dreckiger und auch realistischer Fantasy im weitesten Sinne: das Leben ist schmutzig und entbehrungsreich; Heroismus und Ethik machen es nur schwerer, der Weg zum Erfolg besteht aus Egoismus, Eigennutz und Verrat. Auch das ist aus den Kurzgeschichten um Geralt bekannt, wird hier jedoch in allen Aspekten betont. Wenig schmeichelhaft und dennoch passend werden diese Eigenschaften und Verhaltensweisen zumeist der menschlichen Rasse zugeschrieben - zunehmend nun auch den aussterbenden Elfen. Die Roman-Reihe insgesamt arbeitet mit einer Gegenfolie zu den Kurzgeschichten, die immer noch das Märchenhafte betonten - oft auch mit gutem Ausgang - das nun verschwunden ist.
Über die Handlung lässt sich wenig sagen ohne sehr ins Detail zu gehen. Der Grund ist die Erzählweise Sapkowskis: Statt einer Handlung vom Beginn zum Ende zu folgen springt der Autor von einem Erzähler zum nächsten. Ein Ereignis wird nicht durchgehend von einer Figur geschildert; stattdessen erzählt eine andere Figur mittendrin weiter - nicht nur dem Leser sondern auch einem story-internen, gänzlich anderen Publikum in gänzlich anderer Situation als das erste Publikum und viele Meilen voneinander entfernt. Der Effekt ist ungewöhnlich und schafft immanente Zweifel, ob alle es tatsächlich gleich sehen. Die übertragene Erzählerrolle und auch wiederkehrende Satzsegmente legen dies jedoch nahe, zumindest im Wesentlichen. Jedoch sind auch einige Unterschiede klar, die spätestens bei den individuellen Zielen der Figuren zu Tage treten. Hier gelingt es Sapkowski, auch unbekannte Nebeniguren auftauchen zu lassen und sie mit Farbe zu füllen ohne unnötig ihre Hintergründe zu beschreiben: die Situation in der sie berichten und ihre Erzählung selbst erledigen dies vollkommen.
Mit seiner Erzählweise erreicht Sapkowski mehrere Dinge: Gut ist das vermeiden kapitellanger Erzählung von nur einer Person - der wesentliche Modus des "Schwalbenturms" ist eine Rückblende; aber das bemerkt man durch die vielen Übergaben kaum. Auch schafft Sapkowski den Eindruck einer ganzen Welt, die sich auf bestimmte Eindrücke konzentriert. Dies ist nicht ein Held oder eine kleine Gruppe in einer großen Welt von der ein einzelner Erzähler allwissend berichtet: ein Großteil der Welt beschäftigt sich mit den Ereignissen, die eine einzige Person im Zentrum haben. Nicht zuletzt sticht diese Art, zu erzählen, aus dem Gewöhnlichen heraus.
Leider hat der Erzählmodus auch Nachteile, die von den Vorteilen nicht trennbar sind. Der Unterschied zum Gewöhnlichen kann ebenso als negativ empfunden werden und bereitet Probleme, da der Erzähler oft unvermittelt wechselt. Im Regelfall erfolgt hier eine Leerzeile und dies ist dem Leser Warnung genug. Gelegentlich fällt ein Erzählerwechsel jedoch mit einem Seitenwechsel zusammen und die Leerzeile wird verschluckt; der Erzählerwechsel wird so nicht wahrgenommen und mit einem Mal andere Namen können zunächst irritieren. In jedem Fall erfordert der Erzählstil mehr Aufmerksamkeit vom Leser als eine lineare Erzählung - zumal irgendetwas mit der Zeit auch einfach nicht stimmt.
Damit sind wir auf der Ebene der Handlung, denn die "falsche Zeit" ist kein Fehler des Autors sondern Teil der Geschichte. Die Lösung wird keine echte Überraschung sein: Die Zeit ist einfach nicht für alle gleich verflossen. Dieser Fakt der Geschichte ist einerseits ein zentrales Rätsel, andererseits für die Handlung unbedeutend. Er passt aber zur Struktur der Erzählung, die zeitliche Einordnung einzelner Szenen schwer bis unmöglich macht: Rückblenden, Erzählerwechsel, kurze Rückblende in der Rückblende, dann ein direkter Einstieg in die damalige Handlung als Jetzt-Zeit usw. Was sich hier kompliziert anhört liest sich in Wahrheit viel leichter als es klingt. Was bieten diese Szenen bzw. Episoden? Sie bieten Verfolgung und Jagd, das Überleben in einem Krieg; Intrigen der Mächtigen und Nachforschungen der Gelehrten. Alles sinnvoll innerhalb einer Rezension zusammenfassen ist so unmöglich wie mit diesem Roman neu einzusteigen.
"Der Schwalbenturm" folgt der Linie der vergangenen Hexer-Romane. Der Erzähler wechselt oft, wodurch Zeit und Welt "zerbrochen" wirken; die Handlung besteht aus Fragmenten, die jedoch ein Ganzes ergeben. Der Roman beginnt mit vielen offenen Handlungsfäden und webt auch keine zu Ende. Ciri folgt ihrer Vorherbestimmung - und in diesem Sinne ist der Roman auch zu Teilen vorhersehbar, alles andere wäre seltsam. Wer die Hexer-Romane genoss, findet hier wiederum einige Stunden großartige Unterhaltung. Persönlich vermisse ich immer noch die entschwundene Intertextualität und empfinde den Erzählstil als zwar anstrengend aber sehr interessant.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
Diese Rezension wurde zuletzt geändert am und ursprünglich veröffentlicht am .
Leseprobe
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