Die vergessenen Kinder
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Endlich Sommerferien! Doch die Ferienzeit beginnt für Kim mit einem Schock: Die Namaren sind zurück, jene Wesen, di von ihm verlangten, einen Teil seiner Phantasie aufzugeben. Und viel schlimmer als zuvor: Sie fallen nun andere Kinder an. Bestürzt muss Kim feststellen, dass indirekt er am Verschwinden einiger Kinder in Wiesbaden schuld ist. Ohne es zu wollen oder zu ahnen, natürlich. Und selbstverständlich hilft Kim mit seinen Traum-Freunden! Welche Rolle spielen die Namaren wirklich? Einige scheinen mit Kim zusammenarbeiten zu wollen. Sie sprechen von einem viel größerem Problem: Kim ist nicht mehr allein in seinen Träumen.
Das Buch erhält 7-8 von 10 Punkten.
Die vergessenen Kinder spielt einige Zeit nach Die lebenden Träume und setzt die Geschichte fort. Schon dort bemerkte ich, dass die Namaren nach mehr scheinen - und hier kommt dieses Mehr. In Teilen ist auch dieser Roman geradlinig, macht aber Spaß und ist der Zielgruppe trotz größerer Düsternis angemessen.
Die Rückkehr der Namaren: Düsterer als der erste Teil
Gleich zu Beginn wird "Die vergessenen Kinder" düsterer. Ich gestehe: Bei vergessenen Kindern dachte ich an Peter Pan und die Verlorenen Jungs. Ich erwartete, dass die vergessenen Kinder in Kims Träumen sind. Sind sie jedoch nicht: Es sind echte Kinder. Sie sind vergessen, da niemand sie sieht. Selbst, wenn sie vor einem stehen, werden sie nicht bemerkt; ihre Eltern melden sie bei der Polizei als verschwunden. Zunächst ist Kim das gar nicht aufgefallen. Erst als er seine Klassenkameradin Melanie sichtbar verwirrt und mit einer weißen Haarsträhne sieht, ist er schockiert. Denn dies ist das Zeichen, das die Namaren auch ihm aufdrückten. Könnte es sein, dass sie zurück sind? Und ist vielleicht Kim am "Verschwinden" der Kinder schuld? Selbstverständlich kann er es nicht einfach abtun und sucht die Kinder. War Kim im ersten Buch oft noch kindlich unbedarft und handelte einfach, ist er hier deutlich erwachsener geworden. Er zieht nicht mehr einfach Figuren aus seinen Träumen. Er denkt über Konsequenzen nach und ist auch bereit, das zurechtzurücken, was er angerichtet hat - auch wenn er dies nicht beabsichtigt hatte. Für seine 10 Jahre ist das vielleicht sogar schon zu erwachsen. Egal: Von der Frische verliert der Roman nichts, denn auch in diesem Teil konzentriert sich Julia Seidel auf einen zentralen Handlungsstrang. Der Zielgruppe eher jüngerer Kinder ("ab 8-10 Jahre") ist der Roman nach wie vor angemessen. Er ist düsterer, ernsthafter als der erste Teil, zeigt Konsequenzen. Trotzdem bleibt er phantastisch mit einem Schuss Abenteuer und driftet nie ins Unheimliche ab. Neben Kim spielen in meinen Augen weniger die vergessenen Kinder dir größte Rolle sondern vielmehr die Namaren und was es tatsächlich mit ihnen auf sich hat.
Namaren: Balance der Phantasie
Jene Namaren waren im ersten Buch die Gegner. Sie lösten Kims Phantasie-Wesen einfach auf und verlangten von ihm, seine überschäumende Vorstellungskraft einzudämmen. Schon damals merkte ich an, dass mehr an diesen Schatten zu sein schien. Nun, im zweiten Teil, werden sie tatsächlich ausgebaut und Teil eines Konzepts der Verteilung von Phantasie. Hier muss man die "Suspension of Disbelief" anwenden. "Balance ist gut" ist ein verbreitetes Lemma in der Fantasy, fast ebenso häufig wie der Kampf zwischen Gut und Böse. Beim Lesen an sich fiel es mir nicht auf, doch im Anschluss fragte ich mich: Welches Problem verursacht es, wenn ein Mensch besonders kreativ ist, mit besonders viel Phantasie ausgestattet? Darüber schweigt sich der Roman aus: Es ist schlicht ein Problem, Phantasie ist begrenzt vorhanden, und die Namaren müssen entsprechend handeln, um eine Katastrophe zu verhindern. Unkritische Leser und auch die jüngere Zielgruppe werden dies nicht bemerken. Auch ich schlucke es. Einige weitere Fragen darf man stellen: Warum werden Kinder ohne Phantasie von niemandem mehr gesehen? Wohin verschwindet Melanie eigentlich, die zu Anfang doch recht prominent auftritt? Und erneut: Was genau ist das Problem von "zu viel" Phantasie, solange sie nicht in Eskapismus und Realitätsleugnung ausartet? Das sind jedoch Fragen, die nicht in den Roman passen und die er daher gerechtfertigt ignoriert. Man muss diese Gegebenheiten einfach hinnehmen - und das kann man auch. In die Versuchung, mit Logik nachzubohren, kam ich erst nach der Lektüre. Das liegt auch am Aufbau der Bücher: Kims Welt ist eine Traumwelt. Sie ist unvollständig und hat Lücken - denn Träume müssen brauchen keine durchgehende Logik und müssen auch nicht vollständig sein. Das sagt das Buch auch ganz offen.
Cadouan: "1001 Nacht"-Kulisse und Wahrträumen
Teile seiner Traumwelten hat Kim sich nicht zu Ende ausgedacht. Sie sind unfertig: Ihm fehlte die Zeit, alle Gegenden mit Bewohnern zu füllen - sie existieren damit gar nicht. So geht es dem Wüstenreich Cadouan, in dem der wesentliche Teil der Traum-Handlung spielt. Cadouan ist gefüllt mit Assoziationen aus 1001 Nacht. Das Setting ist so bekannt, dass auch der Leser es sofort mit eigenen Ideen füllt. Ja, man kann sagen, das ist "generisch", mit fliegenden Schiffen, Karawanen und Dschinns. Diese Kritik trifft zu - und dennoch ist es für eine selbst erschaffene Traumwelt passend. Auf irgendetwas muss diese ja aufbauen. Und sie ist nur der Hintergrund.
Denn Kims Schock kommt, als er bemerkt, dass Dinge auftauchen, die er sich nie ausgedacht hatte. Woher kommen diese? Die Namaren erschaffen nicht, sie lösen auf. Was also steckt dahinter? Schon im Prolog fällt ein Hinweis. Kim findet in der eigentlichen Geschichte jedoch erst die Kinder und reist dann durch seine Träume. Den eigentlichen Schurken des Buches findet er ohne nennenswerte Umwege und ergründet währenddessen auch die Rolle der Namaren. Rätsel gibt allenfalls die Identität des Drahtziehers. Sie bleibt auch am Ende ungeklärt und deutet eine weitere Fortsetzung an. Eklige Cliffhanger vermeidet "Die vergessenen Kinder" aber erfreulicherweise. Die Geschichte ist abgeschlossen.
Nur einzelne Fäden lassen Fragen offen: Was ist mit dem Schurken, der ein Wiedersehen ankündigt? Was ist mit Kims neuer Freundin? Von einer Romanze zu sprechen, träfe es nicht und würde auch nicht zur Zielgruppe passen. Seelenverwandtschaft? Vielleicht. Aber hier gibt es nur ganz zarte Andeutungen. Auch Kims unfertige Traumwelten und seine erdachten Freunde bieten sich als Ausgangspunkt für weitere Geschichten an - ich bin gespannt.
Nach "Die lebenden Träume" setzt "Die vergessenen Kinder" Kims Abenteuer gelungen fort. Ohne große Ablenkung verfolgt Juliane Seidel einen zentralen Handlungsstrang und bringt diesen zu einem runden Abschluss. Große Überraschungen hält die Geschichte nicht bereit, unterhält aber auch ohne diese. Fortsetzung? Ja, bitte!
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
Diese Rezension wurde zuletzt geändert am und ursprünglich veröffentlicht am .
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